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Kunstunterricht: Herausforderung für Geldbeutel und Können – der Eltern

Ich habe es getan. Zum ersten Mal seit 30 Jahren habe ich eine Frauenzeitschrift gekauft. So ein Heft voller Artikel – vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, es sind mehr Bilderseiten mit Textschnipseln – über Mode, Schmuck und Styling. 2,95 Euro für 146 Seiten. Das Titelblatt verspricht mir Must-Haves, nach denen alle verrückt sind. Fashion Codes von irgendwelchen mit unbekannten Damen wie Lena Gercke. 498 Trendteile für unter 100 Euro und sexy Sommer-Styles. Reißt mich alles nicht vom Hocker. Muss es auch nicht, denn die Zeitschrift wird in Kürze zerschnitten und zu einer Hausaufgabe verarbeitet. Genauer: zu einem Style-Book.

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Welches ist das teuerste Fach, das mein Kind auf dem Gymnasium hat? Kunst. Die Kunstlehrerin, hoch gepriesen vom Rest des Kollegiums für ihre kreativen Ideen, ist vor allem kreativ darin, den Eltern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Nicht zum eigenen Nutzen, sondern um die Wirtschaft anzukurbeln. Das fing schon in der fünfen Klasse an. Da mussten es unbedingt Künstlerpinsel von Da Vinci sein, um kindliche Klecksbilder zu malen. Das Stück zu 3,95 Euro oder so ähnlich. Keine Ahnung, wie oft dieser Pinsel gebraucht wurde, jedenfalls habe ich seit der Anschaffung nichts mehr von ihm gehört oder gesehen. Angeblich lebt er noch in den Tiefen der Kunstmaterialien-Sammlung. Ich hatte übrigens Glück und konnte den Pinsel noch in der nächsten Stadt finden. Andere Eltern sind dafür bis nach Hamburg gefahren oder haben ihn im Internet bestellt. Klar, ein Tuschpinsel aus der Schulwarenabteilung des nächsten Drogeriemarktes hätte es ja nicht getan.

Und so ging es munter weiter. Plötzlich mussten Acrylfarben her, Tuben in Schwarz, Weiß, Rot, Gelb und Blau, das Stück für irgendwas bei drei Euro, dazu eine aufgezogene Leinwand. Als nächstes sollte Material für eine selbst zu nähende und zu dekorierende Tasche her: Stoff, ein Reißverschluss, Nähgarn und Dekomaterial, das aber bitte nicht zu klein, sonst sieht es ja nach nichts aus. Und nun also für ein Style-Book möglichst mehrere Frauenzeitschriften, um Mode auszuschneiden und aufzukleben. Von wegen mehrere. 498 Trendteile plus Must-Haves und sexy Sommer-Styles sollen ja wohl reichen. Das ist doch ein Superschnäppchen, oder?

Übrigens hat mir das Kind gerade verkündet, es müsse für Kunst noch eine Fotostory machen. Die müsse ich fotografieren und die Bilder anschließend bearbeiten, da ich die Fotografin in der  Familie sei. Auf meine Frage, wie denn die anderen Kinder, deren Eltern nicht diese Möglichkeiten haben, das machen, hieß es: Die knipsen Handyfotos, schicken sie auf den Computer und drucken sie aus. Nur mein ehrgeiziges Kind will natürlich eine Fotostory wie in der „Bravo“. Na bravo. Dann weiß ich ja, womit ich mein nächstes Wochenende verbringe.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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