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FuE in KMU: Das Kauderwelsch der Förder-Bürokratie

Was ist Journalismus heute? Jedenfalls nicht nur das Recherchieren, Sortieren und Aufbereiten von Fakten, die fundierte Information und das Aufdecken von Skandalen und Fehlverhalten. Journalismus ist heute mehr denn je ein Übersetzungsjob. Journalisten übersetzen das Kauderwelsch von Behörden auf allen Ebenen in verständliches und lesbares Deutsch. Das ist fast schon wie das Übersetzen von Fremdsprachen.

Gerade heute ist mir wieder ein besonders skurriles Beispiel für Bürokratie-Kauderwelsch untergekommen. Es ging um EU-Förderprogramme und die kommende Förderperiode 2014 bis 2020. Da geht es um EFRE-Mittel und GRW-Förderung, um ITI (Integrierte Territoriale Investition) und Interreg. Besonders schwammig und geschraubt sind die Förderschwerpunkte formuliert:

Stärkung der regionalen Innovationspotentiale

Entwicklung einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Wirtschaftsstruktur

Energiewende – Aufbau umweltgerechter Wirtschafts- und Infrastrukturen

Nachhaltige Nutzung bestehender Ressourcen

So ganz klar ist den Autoren dieser Begriffe selbst nicht, was darunter zu verstehen ist. Immerhin gibt es ein paar Ideen, die kaum weniger schwammig und verquast formuliert sind. Da ist die Rede von einer „anwendungsnahen FuE-Infrastruktur“. FuE steht für Forschung und Entwicklung. Unter Kompetenzzentren und betrieblichen Innovationen kann sich zur Not  auch der einigermaßen gebildete Laie etwas vorstellen. Aber was bitte sollen Transfer-, Cluster- und Netzwerkstrukturen sein, was versteht man unter See- und Start-up-Fonds, was ist ein Beteiligungsfond für KMU? Das steht, habe ich mich aufklären lassen, für „kleine und mittlere Unternehmen“. Warum es in Versalien geschrieben wird, ist unklar. Egal, sind die KMU nicht gefragt, geht es bei den neuen Förderschwerpunkten möglicherweise um nachhaltige Stadtentwicklung – über den Unsinn dieses Begriffs gibt es hier im Blog einen schönen Beitrag – oder um Brachflächenrecycling. Und dann kommt da noch ein Wörter-Ungetüm vor, das jeden freien Journalisten, der nach Zeilen bezahlt wird, jubeln lässt: „ressourcenschonender Erhalt und Weiterentwicklung des Kultur- und Naturerbes“.

Bei so viel windelweichem Blablabla müssen sich EU- und sonstige Bürokraten nicht wundern, wenn die Menschen kein Verständnis für das haben, was aus den Amtsstuben von Brüssel, Berlin oder Bamberg dringt. Das unverständliche Kauderwelsch zieht sich inzwischen bis auf die lokale Ebene hinab, was jeder leicht nachvollziehen kann, der mal versucht hat, den Textteil eines Bebauungsplanes oder die öffentliche Bekanntmachung einer durchschnittlichen deutschen Kommune zu lesen. Beispiel gefällig:

Auf die Verpflichtung zum Führen von Verzeichnissen gemäß § 12 Abs. 3 LÖffZG, aus denen die Namen, die Tage, die Beschäftigungsart und -dauer der an Sonn- und Feiertagen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ersichtlich sind, wird hingewiesen.

Beachtliche Verletzungen der in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 des Baugesetzbuches (BauGB) bezeichneten Verfahrens- und Formvorschriften sowie der in § 214 Abs. 2 BauGB bezeichneten Vorschriften werden unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres seit dieser Bekanntmachung schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind.

Da lobe ich mir alle Ansätze für Leichte Sprache. Die dient nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten, sondern allen Menschen. Jeder hat Anspruch darauf, ohne Probleme verstehen zu können, worum es geht. Dafür nehmen wir Journalisten die Aufgabe wahr, Bürokraten-Kauderwelsch in verständliches Deutsch zu übersetzen. Eine Aufgabe, die stetig wächst.

Alles über Leichte Sprache steht auch hier.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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