Buchsouvenir: Heiß geliebte Witzig-Zeichnungen

Weihnachten 1964: Ein Taschenbuch kommt in unser Haus. 4,80 Mark hat es gekostet, so steht es mit Bleistift oben auf der allerersten Seite. Darunter ein seltsames rundes Logo, dessen Buchstaben sich nicht so richtig identifizieren lassen. Es gehört zum Ernst-Heimeran-Verlag München. Das Büchlein ist völlig zerlesen und im Rücken schon etwas zerfetzt. Es wurde kaputt geliebt. Ein Buchsouvenir. „Punkt, Punkt, Komma, Strich“ von Hans Witzig.

Der Untertitel lautet „Zeichenstunden für Kinder von Hans Witzig“. Ein Name wie ein Pseudonym. Doch der 1889 geborene und 1973 gestorbene Zeichner, Graphiker, Illustrator, Plastiker, Kinderbuchkünstler und Jugendschriftsteller hieß wirklich so. Und er war offenbar so, wie es sein Name vermuten lässt: witzig.

Charakterkopf Ohrenweh

Ich konnte nie gut zeichnen. Nicht mal mit den Anleitungen von Hans Witzig, der in „Punkt, Punkt, Komma, Strich“ mit einfachen Mitteln Kinder ans Zeichnen heranführen wollte. Los geht es mit Otto Ohrenweh, dessen zwei Anfangsbuchstaben ein rundes Gesicht ergeben. Mit unterschiedlichen Frisuren, Nasen, Augenformen macht Witzig daraus mit wenigen Strichen Charakterköpfe. Ganz einfach also.

Ausgehend von Otto Ohrenweh entwickelt Witzig seine Männchen – von denen natürlich einige Frauen sind – und ihre Häuser und ihren Hausrat. Weiter geht es mit Tieren, dem Dörfchen, Landschaften mit Menschen darin, dem Ferienalbum bis hin zum Schneider Wackelmut – Nicht wahr, sein Bärtchen steht ihm gut – und schließlich zu einem Tagebuch vom Dezember. Lustige Geschichten, illustriert mit lustigen Zeichnungen. Dabei vergisst der Autor nie, dass er die Zeichenkunst vermitteln will. Im Kapitel „Meine Freunde im Zoo“ zeigt er, wie sich aus geometrischen Formen Tiger und Löwe, Eisbär, Elefant und Kamel zeichnerisch entwickeln lassen.

Wir Kinder haben das Buch heiß und innig geliebt. Nicht nur die Zeichnungen, auch die witzigen Geschichten, die sich Herr Witzig ausgedacht hat. Kurze Abschnitte nur, für Leseanfänger also bestens geeignet. Beispiel gefällig? „Gockelhahn und Gackelhuhn, treiben sich ums Haus herum.“ Vorschläge für neue Motive verpackt er so: „Du wirst doch deine Herrschaften nicht im Regen heimtappen lassen? Erbarme dich ihrer. Lass schnell so ein Vehikel kommen und fahre sie darin bis vor die Haustüre.“ Also soll ein Bus, ein Auto, ein Schiff oder eine Kutsche gezeichnet werden.

Die Sprache ist ein wenig altmodisch für unsere heutigen Ohren. Deshalb ist das Büchlein in gewisser Weise auch ein Kompendium vergessener oder veralteter Wörter. Manche sind auch für uns so ungewöhnlich, dass wir sie kaum verstehen. Kein Wunder, Witzig war Schweizer.

Strikte Anweisung

„Auch zum Ausmalen“ steht vorne drin, das hat der Autor so bestimmt. Wir durften das nicht. Da gab es eine strenge Anweisung, mit Kugelschreiber vorne ins Buch geschrieben: „Dieses Buch bleibt Eigentum von Oma Haßlinghausen u. wird auch nicht zum Ausmalen benutzt. Papa und Mami zum Vormalen an die Tafel u. auf Konzeptpapier zur Verfügung gestellt von Oma Käthe, Weihnachten 1964.“ Oma Käthe, auch Oma Haßlinghausen, war ein gestrenge Frau, Lehrerin von Beruf. Ihr Wort galt. Und so künden nur Abdrücke im Buch davon, dass wir das eine oder andere Bild abgepaust haben. Ein paar Bleistiftkritzeleien gibt es auch. Eines der Bildchen auszumalen, hat sich niemand getraut, auch nicht nach dem Tod der strengen Oma im Jahr 1968.

Frontblatt mit Verlagslogo und handschriftlichem Eintrag von Oma Haßlinghausen.

„Punkt, Punkt, Komma, Strich“ ist ein Buch, das ich nie hergeben würde. Es ist ein echtes Buchsouvenir, ein Buch, das das wohlige Gefühl einer glücklichen Kindheit in mir weckt. Für meine Tochter habe ich irgendwann antiquarisch eine spätere Ausgabe davon gekauft. Ihr hat sich der Reiz dieses Büchleins allerdings nie erschlossen. Gefühle lassen sich eben nicht übertragen. Jeder muss selbst seine Herzensbücher finden.

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