
Boomer: Das neue Feindbild?
Ich bin Boomer, Babyboomer. 1960 geboren. Und wenn ich dem, was da durch Social Media wabert, glaube, bin ich so ziemlich an allem schuld.
Das Boomer-Bashing ging schon vor einigen Jahren los. Da waren wir Babyboomer diejenigen, die nichts rafften. Die sich allem verschlossen. Der modernen Technik, dem Netz, dem Smartphone, allem, was irgendwie mit Digitalität zu tun hatte. Dem Klimaschutzgedanken. Dem Prinzip der Work-Life-Balance. Und überhaupt, lebten wir angeblich alle mehr oder minder hinter dem Mond.
Was natürlich überhaupt nicht stimmt. Ich zum Beispiel musste in mehr als 40 Jahren Journalismus so viele neue Techniken lernen, dass ich gar nicht mehr weiß, wie viele es waren. Nicht nur neue Techniken, sondern auch neue Wege, um Inhalte auszuspielen. Wer wusste vor 20 Jahren schon, was ein Podcast ist. Heute mache ich selber welche.
Boomer sind technisch durchaus versiert
Aber auch um mich herum sind die Boomer alle ziemlich auf der Höhe der Zeit. Die Smartphone-Dichte ist bei ihnen nur wesentlich geringer als bei den Jüngeren. Wer mal eine Rentnergruppe auf einem Ausflug beobachtet hat, weiß, wovon ich rede. Von Facebook wird behauptet, das sei mittlerweile völlig von Großeltern verseucht. Einer der eifrigen Leserbriefschreiber unserer Zeitung schickte seine Briefe stets per Mail – mit über 90.
Boomer leben auch gesellschaftskritisch keinesfalls hinterm Mond. Guckt man sich diejenigen an, die sich für Umweltschutz engagieren, die gegen Rechts auf die Straße gehen oder die Ehrenämter innehaben, so haben viele von ihnen graue Haare. Die Umweltbewegten sind es heute noch.
Zur Kritik an der angeblichen Haltung und mangelnden Technikaffinität der Boomer kommt neuerdings noch etwas anderes hinzu: Die Mitglieder dieser Generation sollen zur Kasse gebeten werden, direkt und indirekt. Finanziell und mit Arbeit oder Engagement. +
Die Forderung nach einem Pflichtjahr für Rentner macht ebenso die Runde wie die nach einem Boomer-Soli. Ökonom Marcel Fratzscher wirft den Babyboomern vor, die Gesellschaft in die Krise geführt zu haben. Und gerade macht ein Artikel in den Sozialen Medien die Runde, in dem es darum geht, dass „sich sogar 80-Jährige an ihre Häuser krallen“. Sie sollten sie lieber jungen Familien überlassen. Der eine oder andere versteigt sich sogar dazu, uns eine „narzisstische Scheißgeneration“ zu nennen.
Wer hat uns ein Haus überlassen? Wir haben es uns selbst erarbeitet. Und wir wollen es genießen, und zwar noch möglichst lange. Natürlich ist es uns als Eltern eines erwachsenen Kindes mittlerweile ein bisschen zu groß. Aber es gegen eine – womöglich teure – Mietwohnung eintauschen? Oder gegen eine wohl ebenso teure Eigentumswohnung? Irgendwo, wo es uns nicht so gut gefällt wie hier? Kommt nicht infrage.
Ein Leben lang keine Sozialleistung in Anspruch genommen
Pflichtjahr und Boomer-Soli sind ebenfalls eine Schnapsidee. Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet und abgesehen von ein wenig Bafög-Darlehn und Kindergeld niemals einen Pfennig oder Cent Sozialleistungen bezogen. Ich habe immer nur eingezahlt, aber nie etwas herausgekriegt. Das wird sich mit der Rente ändern, aber dafür habe ich schließlich eingezahlt. Also bleibt mir weg mit irgendwelchen Forderungen.
In einem gebe ich denjenigen allerdings recht, die auf längeres Arbeiten beharren, um die Rente künftig noch finanzieren zu können: Wir sollten länger als bis zum 65. Lebensjahr arbeiten. Ich weiß, das ist bereits Gesetz. Aber wenn ich mich so umgucke, gibt es rund um mich herum niemanden, der wirklich so lange auf Schicht geht. Ich bin in meiner Altersklasse weit und breit fast die einzige, die noch berufstätig ist.
Also, setzt erst einmal die Rente mit 67 um, und dann sehen wir weiter. Bis dahin: Lasst die Boomer gefälligst in Ruhe.


4 Kommentare
Katja
Hallo Susanne,
Wie in jeder Generation – es gibt solche und solche. Es gibt Smombie-Jugendliche, die nicht weiter schauen können als von der Nasenspitze zum Smartphone. Und es gibt solche, die sich sehr aufgeweckt für Politik und Klimaschutz einsetzen.
Meine Generation (Generation X) ist manchmal völlig egoistisch und hedonistisch und gleichzeiitg neurotisch, mal aber auch zupackend und kritisch.
Und die Boomer? Mein Bruder und seine Frau gehören dieser Generation an und gehen mit ihren Altersgenossen oft hart ins Gericht. Manche davon haben leider schon eine „Nach-uns-die-Sintflut“-Mentalität, meinen sie. Sprich: da werden fröhlich Flugreisen und Kreuzfahrten gemacht, ohne Rücksicht auf die Auswirkungen solchen Handelns. Aber wie du schreibst, da gibt es auch die Omas gegen Rechts.
Ich denke, jeder – ob nun Gen Z oder Boomer – kann sich kritisch hinterfragen. Schaden tut es jedenfalls nicht. Verallgemeinerungen helfen aber auch nicht weiter.
LG
Katja
Susanne
Hallo Katja, genau das, Verallgemeinerungen helfen nicht weiter. Ich wollte auch keinen Generationen-„Krieg“ entfachen. Ich wende mich nur dagegen, dass es jetzt offenbar Mode geworden ist, den Boomern alles in die Schuhe zu schieben. Das haben wir ebenso wenig verdient wie jede andere Generation.
LG Susanne
redaktion42
Ja ich bin Boomer und arbeite. Aber: Ein knappes Drittel aller Arbeitskräfte in Deutschland wird in den kommenden 14 Jahren in den Ruhestand wechseln. Auf der Grundlage des Mikrozensus aus dem vergangenen Jahr schätzt das Statistische Bundesamt, dass 13,4 Millionen Erwerbspersonen bis 2039 das gesetzliche Renteneintrittsalter von 67 Jahren erreichen. “Jüngere Altersgruppen werden die Babyboomer zahlenmäßig nicht ersetzen können”, erklärte das Statistische Bundesamt. Das liegt an der Größe der Jahrgänge, die aktuell noch den Arbeitsmarkt beherrschen. Also für mic steht fest: Umbau der Wirtschaft
Susanne
Ja, Umbau der Wirtschaft. Aber vor allem sollten erstmal alle, die bis 67 oder knapp darunter arbeiten müssen, auch so lange arbeiten. Das sehe ich in meinem Bekannten- und Kollegenkreis nicht, da bin ich fast die einzige, die noch berufstätig ist. In der Redaktion bin ich mit meinem jetzt 65 Jahren mit Abstand die Alterspräsidentin.