
Wie Journalisten heute arbeiten: ein Vortrag
Ich habe diese Woche einen Vortrag darüber gehalten, wie Journalisten heute arbeiten und ob die Zeitung stirbt – oder wie sie überleben kann. Das ist mein Manuskript dazu.
„Stellen Sie sich mal vor: Ihre Stadt hätte keine Zeitung mehr. Wer würde dann eigentlich noch berichten, was im Rathaus passiert – oder was mit dem Sportverein los ist?“
Was passiert, wenn keine Journalisten mehr in einer Region arbeiten? Wie das aussehen könnte, sehen wir heute bereits in Ansätzen.
Viele haben die Berichterstattung inzwischen selbst übernommen: Vereine, Feuerwehren, Bürgerinitiativen
Die Wege:
- Facebook, Instagram Tiktok
- Whatsapp-Gruppen
- Kleinere Apps: Dorffunk
- eigene Homepages: Beispiel Städte und Gemeinden, Vereine, Bürgermeisterkandidaten
Aber: Auf allen diesen Wegen werden Informationen ungefiltert und ungeprüft weitergegeben.
Journalisten dagegen fragen nach, ordnen ein.
Aber: Sie sind auch Zwängen unterworfen, die mit dem Internet langsam verschwinden. Früher hieß es: „Erstaunlich, dass immer so viel passiert, wie in die Zeitung passt.“
Und was glauben Sie, wie wir Lokaljournalisten unsere Themen finden?
- Termine und Mitteilungen von Behörden und Institutionen
Der Stadtrat tagt – wir schauen uns die Tagesordnung an, besuchen die Sitzungen, berichten über Bauvorhaben, Schulentwicklung, geplante Windparks oder Solaranlagen – immer ein heißes Thema
Polizei- und Feuerwehrmeldungen
Terminliste der Staatsanwaltschaft, in der alle Strafprozesse aufgelistet sind, plus näherer Erläuterung bei Anklagen mit besonderem öffentlichen Interesse
- Vereine, Ehrenamt
Oft kommen Hinweise von engagierten Menschen vor Ort, von Bürgerinitiativen oder Vereinen.
- Leserhinweise und persönliche Gespräche
- Eigene Recherchen und Beobachtungen
- Soziale Medien und digitale Gruppen
Was viel bei Facebook diskutiert wird, sollte auch bei uns ein Thema sein. Zumindest sollten wir es uns anschauen.
- Mails im Redaktionspostfach – Beispiele:
Hinweis Straßensperrung wegen Bauarbeiten
Arbeitsmarktdaten
Newsletter Landtag
tägliche Polizeimeldungen
SH-Netz kündigt Kontrolle von Hochspannungsleitungen per Helikopter an
Gemeinde bewirbt sich nicht mehr für Ausrichtung einer großen Sportveranstaltung
Das Bulli-Treffen auf Fehmarn steht wieder an
- Interessierte Kreise
Nicht jeder, der einer Redaktion Informationen zukommen lässt, verfolgt damit hehre Ziele. Manchmal soll die Öffentlichkeit damit in eine bestimmte Richtung gedrängt werden oder es soll gezielt jemandem geschadet werden. Deshalb müssen Journalisten stets aufmerksam sein und bedenken, wem es nützen könnte oder wer ein Ziel mit einer Information verfolgt.
Was unsere Leser und die Öffentlichkeit von uns erwarten
Recherche heißt mehr als googeln
Wir Journalisten sprechen mit Beteiligten, holen uns Stellungnahmen von Behörden ein, fragen Betroffene – und versuchen herauszufinden, was wirklich dahinter steckt. Bei einem geplanten Windpark etwa reicht es nicht, nur die Pressemitteilung der Stadt zu drucken. Wir müssen mit Anwohnern, Umweltschützern und dem Betreiber reden.
Oft sind wir Generalisten
Im Lokaljournalismus wechseln wir täglich das Fachgebiet. Meine Themen diese Woche: Preisentwicklung bei Ferienwohnungen, Kritik an mangelnder Klimaawandelnpassung und Baumfällungen, eine Ausstellung über eine Fotografin von Jazzstars der 40er und 50er Jahre, mit Regenbogenfarben angemalte und später schwarz-rot-gold übermalte Stromkästen und Laternenpfähle.
Die Zeit ist knapp
Redaktionen sind kleiner geworden. Viele Journalisten im Lokalen machen alles selbst: recherchieren, fotografieren, schreiben, redigieren und online stellen, Videos drehen, Podcasts einsprechen. Und: Berichterstattung findet heute online rund um die Uhr statt. Es gibt keinen Redaktionsschluss mehr.
Aber Qualität zählt
Auch wenn der Takt schneller geworden ist, bleibt das Ziel: fair, verständlich und korrekt berichten. Und: einordnen.
Warum Lokaljournalismus bleibt und bleiben muss:
Die Zeiten, als Lokaljournalisten über Karnickelzuchtvereine und Schützenfeste berichteten, sind vorbei. Heute berichten Lokalredaktionen über alle gesellschaftlich relevanten Themen: Wohnungsnot, Energiepolitik auf kommunaler Ebene, umstrittene Schulschließungen, rechtsextreme Umtriebe, Bürgerinitiativen gegen Großprojekte.
Das alles passiert nicht nur in Berlin oder München – sondern auch in Kleinstädten.
Und die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass auch diese Themen sauber recherchiert, verständlich erklärt und fair eingeordnet werden.
Demokratie braucht Kontrolle und Stimme vor Ort. Wir geben den Menschen eine Stimme.
Aussichten
Die Auguren haben immer vorhergesagt, 2030 erscheine die letzte gedruckte Zeitung. Manches spricht dafür. Höhere Papier- und Zustellkosten, immer geringere Abonnentenzahlen. Und: Die alten Papierleser sterben weg, junge kommen nicht mehr nach. Sie lesen lieber online, und von denen 80 Prozent und mehr auf dem Smartphone. Deshalb bauen Redaktionen ihr Online-Angebot stetig weiter aus. Dazu gehört auch, Online-Formate wie Videos, Podcasts, Liveticker oder Bilderstrecken anzubieten. Meine Zeitung, die Lübecker Nachrichten, machen das sehr ausführlich.
Sätze, die wir Journalisten nicht hören können und wollen
Das muss mal an die Öffentlichkeit: Fast immer, wenn uns jemand mit diesem Anliegen anruft, geht es um private Vertragsverhältnisse, private Auseinandersetzungen wie etwa einen Sorgerechtsstreit oder medizinische Behandlungsfehler. Dinge, die wir nicht recherchieren wollen und können und die schon gar nichts in der Öffentlichkeit zu suchen haben.
Schreiben Sie aber was Schönes über uns: Das ist nicht unsere Aufgabe. Wer etwas Positives über sich in der Zeitung lesen will, muss eine Anzeige schalten. Was nicht heißt, dass wir nicht auch über schöne Dinge berichten. Leser wünschen sich auch gute Nachrichten.
Bitte senden Sie uns den Artikel vor dem Druck zur Durchsicht/Abnahme einmal zu: Wir haben Pressefreiheit, Artikel werden nicht zensiert, auch nicht von denen, von denen sie handeln. Und abgenommen, genehmigt oder gar, wie gerade jemand wollte, gemeinsam überarbeitet werden sie schon gar nicht. Das Ansinnen, „nochmal drüber zu gucken“ wird aber immer öfter an uns gestellt.
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