Große Oper im Kirchenchor

Singen im Kirchenchor ist spießig! Spießig? Von wegen. Ich singe seit 19 Jahren in einem Kirchenchor, und es macht unglaublich viel Spaß. Gerade sind wir wieder auf der Zielgerade zu einer großen Aufführung: Das Requiem in C-moll von Luigi Cherubini (1760-1842). Diese Konzerte sind die Sternstunden einer Sängerin, eines Sängers. Da geht musikalisch und gefühlsmäßig die Post ab. Hardcore-Klassik vom Feinsten. Was aber genau ist so toll an dieser Singerei?

Es gibt zwei feste Termine in meiner Woche: mittwochs singen, sonnabends reiten. Beide heben mich ab vom Alltag, bauen Stress ab, sind entspannend, erfreuend, einfach nur schön. Lassen wir das Pferd mal im Stall, widmen wir uns dem Singen. Es gibt, jedenfalls für mich, wohl kaum eine Tätigkeit, die so sehr Seele und Körper entspannt und anregt wie das die Musik schafft. Oder wie meine Gesangslehrerin vor mehr als 30 Jahren immer sagte: „Singen ist wie Sport, nur nicht so primitiv.“

Die Stimme ist nicht mehr und nicht weniger als ein Instrument. Sie will trainiert sein, und wenn sie trainiert ist, läuft sie wie geschmiert. Zurück zum Chorsingen. Dass Singen glücklich macht, haben viele Experten und viele Chorsänger bereits festgestellt und begründet. Wir singen eigentlich nur Töne, und dann auch noch immer dieselben. So viele gibt es davon ja gar nicht. Aber wie sie zusammengewebt sind zu Musik, das ist das besondere und immer wieder neue und anrührende daran. Neben der Repertoirepflege und den Gottesdienstliedern macht sich jeder gute Kirchenchor daran, einmal im Jahr ein großes Werk – ein Oratorium, eine Messe, ein Requiem – einzustudieren. Nach wochenlangen intensiven Proben kommt am Ende dann ein großartiges Erlebnis dabei heraus. Spielen wir das mal mit unserem aktuellen Stück, dem Requiem von Cherubini, mal durch.

Phase 1 – Kennenlernen:

So nach und nach wird jeder Teil einmal gesungen. Cherubini macht es dem Chor an manchen Stellen nicht leicht. Er fordert die Sänger. Das zeigt sich schon bei diesem ersten Kennenlernen, und mancher mag an der einen oder anderen Stelle denken: Das lerne ich nie. Die Klänge wollen nicht richtig ins Ohr, und so mancher Ton entzieht sich dem Verständnis, gerade bei den Harmoniewechseln. Irgendwie alles sehr unübersichtlich. Große Beispiele will ich nicht zeigen (hier droht das Urheberrecht), aber ein winziger Ausschnitt darf es vielleicht sein. In dieser ersten Phase, so ist es jedenfalls bei uns, geht es um die Noten, der Text bleib erst einmal außen vor. Geprobt wird auf der Tonsilbe „no“. No, no, no ist ja auch viel leichter zu singen als „Quid sum miser tunc dicturus“.

Phase 2 – Harte Häppchen:

Die wirklich schwierigen Passagen werden in kleinen Häppchen gelernt. Und da hat Cherubini richtig hingelangt. Seine Fuge „Quam olim Abrahae“ hat es in sich. Temporeich, harmonisch anspruchsvoll und dann auch noch ziemlich hoch stellt sie sehr große Anforderungen an die Sänger. Das wird nie etwas!

Phase 3 – Es werde Musik:

Unglaublich, aber irgendwie fügt sich das Ganze zu Musik. Jetzt geht es um die Dynamik, das Laut und das Leise, die Gestaltung. Höchste Zeit, den Bleistift zum Einsatz zu bringen. Singen braucht dreierlei: Stimme, Gehör, Schreiben. Denn wer kann sich schon alles merken, was der Chorleiter vorgibt. Ab und zu ein Hinweis ist auch nicht schlecht, denn so mancher Einsatz kommt überraschend nach dem Seitenwechsel, und manche Textstelle wird anders übergebunden als die anderen. Da hilft ein hingemaltes Ausrufezeichen oder ein Einkreisen ungeheuer. Beim Üben und Text verteilen zeigt sich dann, dass Cherubini Text meisterlich in Musik umgesetzt hat und dass selbst das so sperrig erscheinende Latein durchaus lyrisch klingen kann. „Libera de ore leonis“ – Befreie uns aus dem Rachen des Löwen – das hat doch etwas. Per Bleistiftanweisung in den Noten verewigte Interpretationen des Chorleiters erklären, wie was zu klingen hat: „geheimnisvoll“, „energisch“, „das ist die Stelle, wo es so richtig kitschig wird“.

Finale – die Aufführung:

Und dann geht es plötzlich ganz schnell: Der Tag der Generalprobe und der Aufführung rückt immer näher. Die beiden besten Tage überhaupt. Denn erst in dem Zusammenspiel mit dem Orchester wird das Stück perfekt. Da geht das Singen noch mal so gut vonstatten, perlen die Töne wie schwebend aus dem Mund und reißt die Musik einen förmlich mit. Es braust und rauscht, es säuselt und wimmert, es schwillt an und ebbt ab. Große Oper! So werden aus Noten Musik und aus dem Zusammenspiel von Chor und Orchester und – nicht in diesem Falle, aber sonst – Solisten großartige und anrührende Aufführungen. Der Zauber erfasst alle. Ach, gäbe es doch mehr solche Proben mit Orchester und vielleicht sogar mehrere Aufführungen. Aber das ist so teuer, dass es sich keine Kirchengemeinde leisten kann. Und deshalb sind die beiden Orchestertermine umso wichtiger.

Wie viel Spaß Chorsingen macht, haben die Mitglieder des Wasserburger Bach-Chores auf ihrer Webseite eindrucksvoll dargelegt.

Ein Chorleiterspruch lautet, dass Chorsingen keine basisdemokratische Veranstaltung ist. Konkret: Einer sagt, wo es lang geht, und die andere folgen brav. Chorsingen – Anatur oder Diktarchie? heißt ein Erfahrungsbericht von Rüdiger Haude dazu.

4 Kommentare

  1. Ich singe gern und viel, wenn auch wahrscheinlich weniger schön. Einfach so für mich. Im Chor wäre ich mit meiner Stimme wohl falsch *ggg*

    Aber ich mag Chöre und ich mag klassische Musik. Mein Schwiegervater war bis zum Anfang seiner Parkinson-Erkrankung lange Mitglied im Philarmonischen Chor der Stadt Bonn und wir haben uns meist die Konzerte angehört.

    Ich wünsche dir viel Spaß beim Gesang weiterhin :-)

  2. Liebe Frau Fröhlich, freut mich, dass Dir das Stück gefällt. Es ist schon ein richtiger Burner. Eine Zuhörerin fragte nach dem Konzert, was wir denn genommen hätten, um das singen zu können. Meine Antwort: Was hat Cherubini genommen, um das zu komponieren?

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