Euphemismus-Tretmühle: Wann wird das Wort „Mensch“ negativ besetzt?

Ich hätte es wissen müssen: Unsere Gesellschaft ist so auf Wörter fixiert, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis jemand den Begriff Flüchtling an den Pranger stellt. Es gibt jetzt die Forderung, nicht mehr Flüchtling zu sagen, sondern Mensch auf der Flucht. Eine Wandlung, die bereits der Begriff Behinderter erfahren hat. Immer mehr setzt sich die Bezeichnung Mensch mit Behinderung durch. Diejenigen, die das vertreten, argumentieren, damit sei der Mensch in den Mittelpunkt gerückt, nicht die Behinderung – oder eben die Flucht.

Ich kann diese Argumentation nachvollziehen. Aber ist damit, mit dem „Mensch mit  . . . “ das Ende erreicht? Die Bezeichnung derjenigen, die Krieg und Verfolgung hinter sich lassen, um zu uns zu kommen, hat viele Wandlungen durchgemacht: Asylant – Asylbewerber – Flüchtling – Mensch auf der Flucht. Immer steckte dahinter der Wunsch, die Betroffenen – ein sperriger, bürokratischer Ausdruck – nicht abzuwerten, ihnen sprachlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber offenbar wird jedes angeblich bessere Wort irgendwann negativ besetzt, so dass wiederum ein neues gefunden werden muss. Die Euphemismus-Tretmühle ist in Gang gesetzt. Wann wird das Wort „Mensch“ ihr Opfer. Wann ist „Mensch“ diskriminierend?

Ein schönes Beispiel für das Wirken der Euphemismus-Tretmühle sind die sogenannten Menschen mit Migrationshintergrund, einst Ausländer oder Gastarbeiter genannt. Weil beide Wörter nicht mehr treffend sind und eine neutrale Formulierung gebraucht wurde, entstand der Migrationshintergrund. Die Bezeichnung wird heute jedoch von vielen als abwertend verstanden, als etwas, das den Verdacht sozialer Auffälligkeit mitschwingen lässt. Der Migrationshintergrund ist ein Opfer der Euphemismus-Tretmühle geworden.

Wie kommen wir aus dieser Tretmühle heraus? Ich weiß es nicht. Ich würde nie Neger sagen oder schreiben, nie Asylant, nie Krüppel. Aber ich bin auch nicht bereit, mich der Tretmühle zu beugen und immer neue Bezeichnungen einzuführen und später wieder auf die schwarze Liste zu setzen. Ich wünsche mir, dass unser derzeitiges akzeptiertes Sprach-Instrumentarium lange hält, dass wir uns darauf einigen, hier und jetzt inne zu halten. Aber ich fürchte, das ist nur ein frommer Wunsch. Ich will die Diskussion über Sprache nicht kleinreden, wie Verfechtern einer etwas gelasseneren Sichtweise gerne vorgeworfen wird. Aber ich will auch kein Opfer der Euphemismus-Tretmühle werden.

Zum Glück gibt es noch die Dysphemismus-Tretmühle. Da werden einst negativ besetzte Wörter ins Positive umgedeutet. Bekanntestes Beispiel ist das Wort schwul, das heute von der Schwulen-Bewegung als positiv besetzt verwendet wird. Mitglieder der holländischen Prostituierten-Gewerkschaft benennen sich selbst als Huren.

Die Dysphemismus-Tretmühle ist die unbekanntere Schwester der Euphemismus-Tretmühle. Wie schön wäre es, wenn alle Wörter der Euphemismus-Tretmühle auf die für Dysphemismus herübergezogen werden könnten und nach und nach eine positive Bedeutung bekommen. Dafür müsste sich allerdings in den Köpfen etwas ändern. Und das ist meiner Meinung nach eben nicht nur über die Sprache zu erreichen. Dafür bedarf es innere Haltung.

Der Flüchtling bleibt für mich auch weiter der Flüchtling. Denn das Wort ist kurz, treffend, und es sagt alles, worum es geht: Da ist ein Mensch auf der Flucht, aus gutem Grund. Er verdient unsere Hilfe. Was also soll schlecht daran sein, wenn all dies in dem Wort steckt?

2 Kommentare

  1. Das Suffix -ling ist angeblich negativ konnotiert, so wie in Häuptling, Engerling, Fiesling, oder „Frühling“?

    Studenten heißen heute Studierende. Friseuse ist ein „absolutes Nogo“, das bestätigten sogar jene, die gerne mit absoluten Nogos um sich werfen und sogenanntes Unterschichtenfernsehen schauen und entsprechende Zeitschriften lesen, falls sie noch lesen.

    Ob Friseurin aber nicht schon wieder sexistisch ist und man daher nicht besser Frisierende sagen sollte?!

    „Schwarzer“ darf man auch nicht sagen, weil das eine Übersetzung von „Neger“ ist und die Schwarzen ja auch meist gar nicht schwarz sind. „Alter“ sagt man hingegen nur, wenn man Mitglied einer jugendlichen Peer-Group ist (obwohl man in diesen Kreisen wohl schon zu „Digga“ übergegangen ist).

    In den USA, wo diese Unsitte wie deren viele ihren Ausgang nahm, nennt man Behinderte mitunter „mentally challenged“ und Ältere „chronically advanced people“. Das sind also „chronisch fortschrittliche Leute“. Na, da gibt es durchaus schlimmere chronische „Gesundheiten“!

    Ich mache das Gedöns nicht mit. Denn die Gesinnung eines Menschen lässt sich nicht ändern, indem wir Sprachregelungen erlassen, wie jemand zu nennen sei, sondern sie ist an das Gefühl gekoppelt, das sich beim Sehen oder Vorstellen eines Menschen einstellt. Da kann man tausendmal vorschreiben, man soll nicht Neger sagen: solange jener, der aufgrund der Sprachpolizei im Hirn „Schwarzer“ sagt, „Neger“ denkt, ist nichts gewonnen.

  2. „Aber ich bin auch nicht bereit, mich der Tretmühle zu beugen…“

    Sie haben sich der Tretmühle längst gebeugt, weil Sie z.B. nie „Asylant“ sagen würden. Was soll daran schlecht sein? Es fühlt sich komisch an, es zu benutzen, wenn andere uns einhämmern wollen, dass es kein schönes Wort ist, nicht wahr? Sie sind einfach nur eine Euphemismus-Tretmühlen-Generation hinterher, weil Sie sich etwas länger wehren als andere.

    Und warum ist das Wort „Ausländer“, wie Sie schreiben, nicht mehr treffend? Das ist sogar sehr treffend und ziemlich klar definiert. Haben Sie im anglo-amerikanischen Raum bzgl. des Wortes „foreigner“ ähnliches festgestellt? Aber auch hier hat Sie die deutsche Sprachpolizei bereits voll in Ihren Fängen, Sie wollen es sich nur noch nicht eingestehen ;-)

    Sprache wird, was WIR draus machen. Ich benutze obige Wörter nach wie vor. Sie waren früher klar definiert und sind es heute noch. Sie vereinfachen Kommunikation, indem wir uns nicht verbiegen müssen. Plötzlich soll diskriminierend sein was früher jeder benutzt hat. Macht das Sinn? Waren früher denn alle Menschen so gerne diskriminierend? Nein, sicher nicht. Man unterhält sich einfach nur gerne so, dass man sich versteht, oder? ;)

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