Der Flug der alten Dame

In meiner kleinen Heimatstadt gibt es einen Flugplatz. Mit dem verbinde ich schöne Erinnerungen aus meiner Kindheit. Als ich ihn jetzt mal wieder besucht habe, habe ich eine wunderbare Begegnung gehabt mit einer alten Dame, die mit ihrem Sohn in die Lüfte gegangen ist. Sie wagte einen Flug weit übers Land.

Als Kinder waren wir oft mit unseren Eltern am Sonntagnachmittag auf dem kleinen Flugplatz von Bad Gandersheim. Er liegt auf einem Berg mit Namen Kühler und war damals, in den 1960er- und 1970er-Jahren, die Heimat der Berliner Fallschirmspringer. Die durften wegen der Mauer und des Vier-Mächte-Status‘ nicht in Berlin springen. Deshalb wichen sie auf den kleinen Provinzflugplatz aus. Von der Aussichtsterrasse beobachteten wir oft Flug und Sprung. Die Springer landeten beinahe vor unseren Füßen. Sehr spannend.

Keine Fallschirmsprünge mehr

Die Fallschirmspringer sind längst nach Berlin zurückgekehrt. Der Flugplatz ist geblieben. Regelmäßig landen und starten dort kleine Privatmaschinen und Segelflugzeuge. Zwar ist die kleine Kneipe am Rande des Flugfelds gerade geschlossen, aber es gibt einen Tower, der regelmäßig besetzt ist, und einen bescheidenen Flugbetrieb. Demnächst soll die Gaststätte wieder eröffnet werden.

Der Tower mit Aussichtsterrasse und geschlossenem Bistro.

Das war auch am Sonntagvormittag so. Eine Sportmaschine rollt heran, ihr entsteigt der Pilot. Auf meine Frage, ob er ein wenig Zeit für mich habe, reagiert er nicht nur freundlich, sondern mit einem schönen Spruch: „Piloten haben immer Zeit, Stress und fliegen passen nicht zusammen.“

Auf einem kleinen Flugfeld steht eine Cherokee-Maschine.
Das Flugfeld mit Sportflugzeug und Tankstelle im Holzhäuschen

Diese schöne Weisheit verkündet Gerald Riedel, Hobbypilot seit 2012, wie er mir bald darauf berichtet. Erst einmal hat er aber noch einiges zu erledigen, was mir die Zeit gibt, mir die alte Dame neben seinem Flugzeug etwas genauer anzusehen. Ich habe eine ganze Zeit lang mit ihr geplaudert. Ingrid Riedel ist 86 Jahre alt, die Mutter des Piloten und freut sich sehr darauf, dass ihr Sohn sie zum ersten Mal zu einem Rundflug mitnehmen will.

Keine Angst vor dem Flug

Doch, versicherte sie, geflogen sie sie schon einmal, aber nicht mit einem Sportflugzeug. Jetzt werde sie einen schönen Flug genießen, über den Harz solle es gehen. Angst habe sie überhaupt nicht. Ingrid Riedel erzählt munter aus ihrem Leben, und auf meine Frage, wie sie es schaffe, über die Tragfläche in die Kabine zu klettern, konterte sie mit: „30 Jahre Yoga.“ Tatsächlich schwingt sie sich wenig später ziemlich behände nach oben und nimmt neben ihrem Sohn Platz.

Ein Pilot und eine andere Dame sitzen in einem Kleinflugzeug.
Ingrid und Gerald Riedel, bereit für ihren Flug über Südniedersachsen.

Der hatte zuvor die Maschine aufgetankt, 95 Liter Argas in jeden der beiden in den Tragflächen angebrachten Tanks. Der Liter zu 2,20 Euro, so weist es die in einem Holzhäuschen auf dem Flugfeld untergebrachte Tankstelle aus. Argas, erklärt Gerald Riedel, ist ein hoch-oktaniges Flugbenzin, sozusagen ein verbessertes Superbenzin, und mit Kerosin habe das gar nichts zu tun. Sein Flugzeug verbrauche 32 Liter in der Stunde. „Ich komme mit einer Tankfüllung einmal längst durch Deutschland.“

Die fliegende Elli

Er erzählte dann noch ein bisschen etwas über sein Flugzeug, eine Cherokee. Sie ist eine zweisitzige Piper PA 28, 50 Jahre alt, und trägt den Namen D-ELII, was er liebevoll Elli ausspricht. Riedel ist Mitglied im Sportfliegerclub Gandersheim-Seesen (unter dem Link gibt es eine Webcam vom Flugplatz) und geht etwa alle 14 Tage in die Luft, im Durchschnitt. Mal drei bis vier Tage hintereinander, mal erst nach einer längeren Pause wieder. Das hänge vom Wetter ab.

Ein Flugzeug in der Luft.
Die Piper von Gerald Riedel nach dem Start.

Der Flugplatz Bad Gandersheim, so klein er ist, beherbergt zwei Flugvereine. Dort ist auch der Luftsportverein Bad Gandersheim zu Hause, dessen Mitglieder sich der Segelfliegerei widmen. Die Segelflieger gab es schon damals, als ich als Kind oft auf dem Flugplatz war. Fasziniert haben wir beobachtet, wie sie von einer Winde nach oben gezogen wurden.

Flugzeuge auf Augenhöhe

Was es wahrscheinlich schon damals gab, was mir aber völlig entfallen war, ist, wie nah die Zuschauer dort an der Fliegerei dran sind. Sie müssen sogar aufpassen, dass sie nicht in ein landendes Flugzeug hineinlaufen. Das gibt es wahrscheinlich nur in Bad Gandersheim.

Ein Schild warnt davor, dass von links ein Flugzeug kommen könnte.
Achtung, Flugzeug von links. Auf der anderen wird vor Flugzeugen von rechts gewarnt.

Allzu viele Zuschauer, berichtet Riedel, sind es zurzeit sowieso nicht. Aber wenn das Bistro wieder öffne, dann werden es sicher wieder mehr sein, so wie früher. Ich finde: Ein Besuch lohnt sich auch so, nicht nur wegen des niedlichen kleinen Flugplatzes und netter Piloten wie Gerald Riedel, sondern auch wegen der wunderbaren Aussicht über die ganze Umgebung. Die lässt sich dort nicht nur bei einem Flug genießen.

Ein Sportflugzeug verschwindet im blauen Himmel über einer Landschaft.
Da fliegen sie hin: Gerald und Ingrid Riedel in der Piper.

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