Der Nicht-Leserbrief: Warum so gechlechtsbesessen?

Der "Journalist"-Titel zur geschlechtergerechten Sprache.

„Frauen haben aber immer weniger Lust darauf“ (sich mitgemeint zu fühlen), heißt es in der Titelgeschichte der März-Ausgabe des Medienmagazins „Journalist“. Als Gegnerin der sogenannten geschlechtergerechten Sprache in Texten und erst recht in journalistischen Texten hat es mich gejuckt, einen Leserbrief dazu zu schreiben, dass wir so geschlechtsbesessen sind. Leider habe ich privat genug andere Baustellen und bin nicht rechtzeitig damit fertig geworden. Deshalb veröffentliche ich ihn jetzt hier.

Wer sagt das, dass es Frauen leid sind, sich mitgemeint fühlen zu müssen? Da sprechen einige für alle und schaffen es damit zunehmend, ein Thema zu setzen, das offenbar gar kein so großes ist. In einer aktuellen ZDF-Online-Umfrage hält die überwiegende Mehrheit nichts vom Gendern und sagt, das sei eine fürchterliche Sprache, die nichts zur Gleichstellung beitrage. Ablehnend sind auch die meisten Leserbriefe im neuen „Journalist“ zu dem Thema, mit guten Argumenten. Mehr dazu unten.

Meine Argumente

Wem Texte von vor 20 oder 30 Jahren in die Hände fallen, der wird feststellen, was unserer Sprache in den vergangenen Jahren angetan worden ist: Binnenmajuskeln, Binnenleerzeichen und nun zunehmend gegenderte Sprache und gar das Gendersternchen. Folgt man all diesen Möglichkeiten, bleibt kaum noch ein Satz davon ungeschoren. Und ja, im Gegensatz zu anderen finde ich es sehr mühsam, diese Texte zu lesen.

Aber etwas anderes stört mich noch mehr. Wir sprechen und denken mittlerweile so viel über das Geschlecht nach, dass wir damit erst das Problem schaffen, das wir mit jeder Art des Genderns von Texten beseitigen wollen. Wo das Geschlecht keine Rolle spielt, muss es bei der Bezeichnung von Gruppen auch nicht genannt werden. Zudem spricht viel für das Argument, die Medien müssten neutral sein und bleiben. Warum sollen Zeitungen zu geschlechtergerechter Sprache erziehen, zumal die Mehrheit ihrer Leser dies ablehnt? Wie diese Erziehung beim Hörfunk und bei gesprochenen TV-Texten funktionieren soll, ist zudem ein Rätsel.

Zu viel Geschlecht

An dieser Stelle kann ich den Kollegen nur zustimmen, die ihre Leserbriefe im Gegensatz zu mir abgeschickt haben. Einer merkt an, dass das Gendern eine gesellschaftliche Position und kein Handwerk sei. Ein anderer schreibt, es sei das Ziel des Journalismus, Inhalte zu vermitteln, nicht Meinungen. Ganz meine Meinung. Mit dem Gendern von Texten tragen wir das Thema Geschlecht in Texte, in denen es um etwas ganz anderes geht. So schaffen wir eine Geschlechtsbesessenheit, die es gar nicht gibt.

Schlimm genug, dass die gendergerechte Sprache in immer mehr Behördenschreiben und sogar in Lehrbücher für die Grundschule Einzug hält. Während einerseits über leichte Sprache nachgedacht und Wahlzettel für alle lesbar geschrieben werden, werden andererseits Leseanfänger, Nichtmuttersprachler und Legastheniker mit eine Schriftsprache gequält, die sie verzweifeln lässt.

Wir Journalisten sollten uns wehren

Ich hoffe sehr, dass die Unsitte des Genderns und das geschlechtsbesessene Formulieren am Ende nicht doch noch Einzug in Medientexte hält. Ich fürchte es allerdings, denn einige machen es bereits. Meine Hoffnung, dass die Konzentration auf das Geschlecht irgendwann wieder abnimmt, ist bisher immer enttäuscht worden. Ich wünsche mir, dass wir Journalisten uns auch weiter dagegen stemmen, unsere Schriftsprache immer verwirrender, komplizierter und leseunfreundlicher zu machen, im Interesse unserer Leser und im Interesse einer Gesellschaft, die noch etwas anderes im Kopf hat, als irgendwo ein Sternchen zu setzen für einen verschwindend kleinen Teil der Bevölkerung.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin gegen jede Art von Diskriminierung, Abwertung, Anfeindung. Ich bin für das Recht jedes Menschen, unbehelligt so zu leben, wie es ihm gefällt, wenn er anderen dabei nicht schadet. Aber ich ich bin auch für eine klare, verständliche und unverkrampfte Sprache, ob geschrieben oder gesprochen.

4 Kommentare

  1. Warum ist das so, das JournalistInnen, die sich doch eigentlich kreativ mit Sprache beschäftigen und beste Formulierungskünste haben, ein so großes Bohai machen um ein so einfach zu händelndes Thema? Wer, wenn nicht wir, sollte konkret, lesbar und trotzdem gendergerecht schreiben können??? Und was soll das heißen, geschlechtsbesessen? Ein paar Erkenntnisse der publizistischen Wirkungsforschung könnten helfen, das Thema sachlicher einzuschätzen. Und helfen, bewußter zu formulieren. Alles nur eine Frage des Könnens…
    Im übrigen gehöre ich in der Tat zu den Menschen, die es ankotzt, „mitgemeint“ zu sein. Ich bin Journalistin, kein Journalist, Radfahrerin, Kirchenbesucherin, Leserin. Dennoch betreibe ich im Beruf das Thema nicht mit Schaum vor dem Mund. Und ich nehme jetzt mal nur unseren Beruf als Beispiel, weil ich in juristischen und bürokratischen Zusammenhängen ohnehin nicht sehe, warum das nicht gendergerecht formuliert werden kann – diese Texte sind ja nicht für den täglichen Konsum.
    In journalistischen Texten hat das Wörtchen „man“ z.B. nichts verloren – das ist unkonkret, schafft Distanz und läßt sich in der Regel durch handelnde Personen ersetzen – habe ich schon bei meiner ersten Tageszeitungsstation im Praktikum 1985 gelernt. Das gebe ich hier auch in meiner Redaktion weiter und das haben inzwischen alle internalisiert! IDas lernen heute auch unsere VolontärInnen in einem ersten ihrer vielen Kurse. Wir sprechen/schreiben von Kindern und Jugendlichen, Studierenden, Lehrkräften… und dann auch mal generalisierend von Schülern oder Bürgern. Wenn wir denn vorher einmal Schülerinnen und Schüler, oder Bürgerinnen und Bürger gesagt haben. Soviel Zeit muß sein.
    Und warum muß das sein? Weil eben Frauen oder Mädchen nicht mitgedacht werden, wenn sie „mitgemeint“ sind. Wer „Ärzte“ hört, stellt sich vor dem inneren Auge keine Ärztinnen vor – lt. Wirkungsforschung. Da gibt es viele Beispiele.
    Und ist das dann Meinungsmache statt Bericht? Ich denke, nein. Wer als Bildunterschrift unter eine Foto von einer Ausbildungsmesse, auf der nur Mädchen zu erkennen sind, von „Schülern“ schriebt, produziert eine Text-Bild-Schere, keine Meinung. Wer seine Leserschaft mit „liebe Leser“ begrüßt, ignoriert die Leserin und irritiert sie unnötigerweise (das sieht der journalist-Chefredakteur allerdings nach wie vor nicht; inzwischen gibt es aber auch meistens keine Anrede mehr, auch ’ne Lösung…)
    Also, wenn wir immer wieder darüber berichten (müssen), dass es mit der Chancengleichheit und Gendergerechtigkeit hapert, es aber als JournalistInnen nicht einmal selbst schaffen, korrekt, konkret und kreativ so zu formulieren, dass beide Geschlechter in der Berichterstattung auftauchen, dann sind wir meiner Ansicht nach ein Teil des Problems.

  2. Nein, liebe Mechthild, wir sind nicht Teil des Problems, weil es kein Problem ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei der Formulierung „die Schüler der Klasse 9b“ jemand auf die Idee kommt, das seien nur Jungen. Wenn ein Schild an einer Baustelle lautet „Fußgänger bitte andere Straßenseite benutzen“, dann überqueren auch Frauen die Fahrbahn. Und wenn der Verkehrsfunk warnt: Achtung, Autofahrer, dann werden auch Autofahrerinnen aufmerksam. Ich sehe nichts schlimmes am generischen Maskulinum.
    Du schreibt, wir könnten konkret, lesbar und trotzdem gendergerecht schreiben. Das sehe ich nicht so. Gendergerecht ist gerade nicht konkret und lesbar. Jedenfalls dann nicht, wenn mit typografischen Krücken wie Sternchen oder Unterstrichen geschrieben wird. Gerade habe ich wieder so einen Text gelesen, und es war schlimm. Wie muss es erst Menschen ergehen, die nicht so lesebewandert sind?
    Wobei ich das fein unterschieden haben möchte. Wenn es um einzelne Frauen geht, haben sie natürlich alles Recht der Welt, als Journalistin, Ärztin oder Mechanikerin benannt zu werden. Bei einem Foto, das nur Mädchen oder Frauen zeigt, würde ich natürlich das generische Femininum benutzen, was sonst? Alles andere wäre tatsächlich Blödsinn. Bei Streik des Kita-Personals würde ich nie schreiben, dass die Erzieher streiken, weil die überwiegende Mehrzahl Erzieherinnen sind. Dem gilt nicht meine Kritik. Ich wende mich lediglich gegen typografische Sprachverhunzung, siehe oben.
    Im übrigen bin ich manchmal erschüttert, welche Blüten das dauernde Gerede über gendergerechtes Formulieren treibt. Wie kann es sein, dass eine Lehrerin zu mir sagt: „Ich bin hier die Lehrkraft.“? Sie ist Lehrerin, basta.

    1. Liebe Susanne, liebe Mechthild, dass wir einzelne Frauen als Ärztinnen, Redakteurinnen oder Tänzerinnen bezeichnen, scheint mir zwischen uns Konsenz zu sein. Spricht man allerdings von den Tänzern einer Ballett-Companie, denke ich automatisch die Frauen mit. Warum sollte das Ensemble nur aus Männern bestehen? Dies so zu sehen ist gar kein Problem, auch nicht verwerflich, unsensibel, herabwürdigend oder frauenfeindlich sondern einzig dem üblichen Gebrauch bestimmter Worte und Begriffe geschuldet. Und ja, viele Bezeichnungen ergeben sich aus dem generischen Maskulinum. Es geht aber auch anders: Zum Oberbegriff „Hebamme“ gehören in Zeiten der Emanzipation des Mannes eben diese. Wer möchte schon „Hebammer“ sein. Die offizielle Bezeichnung „Entbindungspfleger“ erinnert m. E. eher an einen Paartherapeuten für Geschiedene und zeigt, welche Absonderlichkeiten eine gewollte Geschlechtsspezifizierung hervorbringen kann. Schon der Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt erkannte: „Nur die Verbindung der Eigentümlichkeiten beider Geschlechter bringt das Vollendete hervor.“ Das dritte Geschlecht war zu Lebzeiten Humboldts noch nicht in Mode. Das ist heute anders. Neben dem Weltfrauentag (8. März) und dem Weltmännertag (3. November) wurde der 29. Februar zum Weltdiversentag. Der Schalttag sei von der „Internationalen Gesellschaft für Gleichheit“ bewusst gewählt worden. Dadurch würde er mehr beachtet. Der nächste Weltdiversentag ist übrigens am Sonnabend, 29. Februar 2020.

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