Buchsouvenir: Der Flüsterwitz im Dritten Reich

Das Buch ist mir irgendwann während meines Volontariats vor 40 Jahren in die Hände gefallen und hat bis heute einen festen Platz in meinem Bücherschrank. Als ich es geschenkt bekam, war es bereits fast 20 Jahre alt. „Der Flüsterwitz im Dritten Reich“ ist bis heute aktuell: Ein Beweis, dass selbst in schlimmster Barbarei der Humor lebt.

Die Witze hat der Erziehungswissenschaftler Hans-Jochen Gamm (1925 – 2011) gesammelt und in dem Büchlein kommentiert. Der Verlag versteigt sich im Klappentext zu einer Theorie, die doch recht gewagt ist: „Der Flüsterwitz war ein gefährlicher Angriff des Mannes von der Straße gegen den allmächtigen Apparat, gegen die Bonzen und ihre Weltanschauung, denn Gelächter war tödlich für die auf sturen Ernst zugeschnittene braune Tyrannei.“ Nun, tödlich dürfte es eher gewesen sein, beim Erzählen dieser Witze erwischt zu werden. Witze zum Tot-Lachen.

Zeitleiste des Nationalsozialismus

Gamm reiht sie nicht einfach aneinander. Er kommentiert sie ausführlich. Dabei hangelt er sich an der Zeit des Nationionalsozialismus entlang. Er beginnt mit einem Witz über den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg.

Hindenburg soll eine Dame empfangen, die ihm einen großen Blumenstrauß zu überreichen gedenkt. Das Einwickelpapier will sie im Vorzimmer zur Seite tun. Da ruft ihr Staatssekretär Meißner entsetzt zu: „Lassen Sie doch um Gottes willen kein Papier herumliegen; der alte Herr unterschreibt es sonst sofort!“

Ein Witz, der ein gehöriges Maß an Geschichtskenntnis erfordert. Gamm erläutert zwar etwas langatmig, aber treffend, was es mit dem Papier und dem Unterschreiben auf sich hat. Überschrieben ist dieses erste Kapitel mit „Witze gegen das Reich des Unheils“. Weiter geht es mit dem Alltag im Dritten Reich, Politik und Diplomatie, Partei und Bonzen, Ideologie, Rasse, Blut und Boden, Der „Führer“ im Witz, Judenwitze, Religiöse Linien im Witz, Die Bundesgenossen und Das Inferno – Der Ausgang des dritten Reiches. Daran schließen sich Anmerkungen und Verzeichnisse der NS-Organisationen und der NS-Funktionäre an.

Als Berlin während des Krieges verdunkelt war, ging ein Mann spät abends nach Hause. Plötzlich hörte er dicht hinter sich ein scharfes Zischen: „Stehenbleiben oder ich schieße!“ Ein Pistolenlauf war in der Dunkelheit matt zu sehen. „Sofort die Brieftasche her!“, fuhr der Unbekannte fort. „Sie haben mir aber einen Schrecken eingejagt“, sagt er der Mann erleichtert. „Ich glaubte schon, Sie wären von der Polizei.“

Wie bezeichnend für eine, für diese Diktatur, dass Menschen lieber Räubern als Polizisten in die Hände fallen. Dass es gefährlich war, abweichende Meinungen zu sagen oder sogar politische Witze zu machen, belegt eben einer jener Witze.

Die Zähne werden in Deutschland zukünftig durch die Nase gezogen, weil niemand mehr den Mund aufmachen darf.

Witze von jenseits der Grenzen

In seinen Erläuterungen legt Gamm dar, dass zwar innerhalb Deutschlands versucht werden konnte, Witz und Spötteleien zu unterdrücken, es im Ausland aber nicht möglich war, was die Nazis offenbar ärgerte. Gamm glaubt gar, dass Hitler aus Ärger über Beleidigungen europäische Politik machte und manche seiner jähen und unverständlichen Schlüsse auf diesem Ärger beruhen. Das ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber wer weiß? Vom Besuch Hitlers in Italien ist dieser Dialog im Buch als Witz überliefert.

Hitler zu Mussolini: „Ave Imperator!“. Mussolini zu Hitler: „Ave Imitator!“

Gamm lässt auch die Judenwitze nicht aus. Die von ihm zitierten diffamieren aber nicht die Juden, sondern schlagen sich auf die Seite der Entrechteten und Drangsalierten. Der Flüsterwitz im Dritten Reich ist eben vor allem Kritik an den Herrschenden. Bei manchem Witz wird deutlich, wie perfide die Machthaber vorgingen, um die Juden zu diskreditieren.

Im Zirkus bricht bei einem Dressurakt ein Löwe aus und springt ins Publikum. Ein beherzter Jüngling schlägt ihm mit dem Spazierstock derart über den Schädel, dass er bewusstlos wird und abtransportiert werden kann. Ein Reporter bittet den Jüngling um seinen Namen. „Moritz Levi“ ist die Antwort. Am nächsten Morgen steht im Völkischen Beobachter: „Frecher Judenlümmel misshandelt edle Tiere!“

Im weiteren Teil dieses Kapitels stellt Gamm fest, dass die ungeheuren Verbrechen der Nationalsozialisten an den Juden den politischen Witz schließlich nicht mehr erlaubten. Gamm bescheinigt den Deutschen Unsicherheit, als ihre Nachbarn und Freunde abgeholt wurden und verschwinden, als Nachrichten von den Greueltagen nach Deutschland gelangen. Er geht mit seinen Landsleuten aber auch hart ins Gericht, wenn er über die Juden schreibt: „Man ließ sie allein auf der düsteren Straße, wandte sich ab von den Deportationen, musste gleichwohl Beklemmendes von den Fronturlaubern hören, die im Osten mancherlei gesehen hatten, zog daraus aber keine Konsequenzen.“

Dem Flüsterwitz ein Denkmal gesetzt

Der Autor hat nicht nur in einer großen Fleißarbeit viele, viele Witze gesammelt und dem Flüsterwitz im Dritten Reich damit ein Denkmal gesetzt. Er kommentiert die Witze in zwar langen und verschachtelten Sätze, vermittelt aber viel Hintergrundwissen. Er erklärt manches, was heute unverständlich wäre. Die Kommentare und Erläuterungen, die Einordnungen des Autors nehmen sogar deutlich mehr Platz ein, als die Witze selbst.

Seinen großen Bogen durch den Flüsterwitz beendet Gramm mit einem Witz, der nach der Kapitulation entstand. Auch er ist nur mit etwas Geschichtswissen verständlich.

Die Naziherrschaft ist zu Ende. Das Urteil ist gesprochen. Hitler, Göring und Goebbels hängen am Galgen. Da wendet Göring sich noch einmal rechthaberisch zu Goebbels und röchelt ihm zu: „Ich habe es dir ja immer gesagt, die Sache wird in der Luft entschieden!“

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