Schmerzhafte Erziehung

Was tun, wenn öffentlich einem Kind von einem Elternteil Schmerzen zugefügt werden? Wann darf, wann muss man einschreiten?

Ein großer Flohmarkt in einer mittelgroßen Kreisstadt. Eine typische Familie – Vater, Mutter, Sohn, Tochter – bummelt zwischen den Ständen entlang. Die Mutter bleibt ein wenig zurück, der Vater geht mit den Kindern, das Mädchen ist etwa acht bis zehn Jahre alt, voraus. Plötzlich scheint es, als ob der Sohn, etwa 12, 13 Jahre alt, irgendetwas falsch gemacht hat. Der Vater herrscht ihn an, greift dann seinen Unterarm und drückt zu. Zunächst sieht es so aus, als fasse er seinen Sohn nur am Arm, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Doch dann drückt er immer weiter zu, so lange, bis dem Jungen die Tränen in die Augen steigen. Dann schickt der Vater sein Kind davon: „Geh ein paar Meter weg.“

Wenig später. Die Mutter geht mit ihrem weinenden Sohn Arm in Arm hinter Vater und Tochter her.  Zwei Frauen an einem Flohmarktstand sprechen die beiden an. „Das war ja wohl etwas heftig für einen Vater.“ Die Mutter zuckt die Achseln, sagt, da müsse sie wohl mal mit ihrem Mann reden.

Was ist das richtige Verhalten in dieser Situation? Sofort eingreifen? Dem schmerzhaft ausgeübten Erziehungsrecht des Vaters in den Arm fallen? Niemand hat es getan. Einzig die beiden Frauen haben eine Bemerkung gemacht, die vermutlich gar keine Wirkung hat. Allem Anschein nach duldet die Mutter das Verhalten des Vaters oder sie ist – was unwahrscheinlicher erschien – machtlos dagegen. Vielleicht heißt sie es sogar gut.

Mir geht der Junge geht mehr aus dem Kopf. Ich weiß nichts über diese Familie, aber es sieht so aus, als sei der schmerzhafte Würgegriff des Vaters nicht zum ersten Mal erfolgt. Ich war über den Vorfall, der sich ein paar Meter von mir entfernt ereignete, erst so perplex, dass ich gar nicht reagieren konnte. Und dann war es zu spät.

Ich hätte etwas sagen müssen.