Feng hui

In meinem Besitz befindet sich ein edles Tässchen. Es ist aus feinstem Porzellan, dick mit Gold belegt und, ebenfalls in Gold, mit Namen und Geburtsdatum meines Urgroßvaters beschriftet. Das ist ein böses Tässchen, habe ich jetzt erfahren. Es fesselt meine Gedanken und Gefühle in der Vergangenheit, lässt mich im Anno dunnemals verhaftet sein und ermöglicht es mir nicht, in die Zukunft zu denken und mich Neuem zu öffnen. Damit bin ich zur Erfolgs- und Glücklosigkeit verdammt.

Also weg mit dem Tässchen in den Müll! Ist doch sowieso nur sentimentaler Schrott. Sich beherzt von „ererbtem Krempel“ zu befreien, empfiehlt ein Feng-Shui-Ratgeber, der mir jüngst in die Hände fiel. Ist die Wohnung wieder hui statt pfui, sind auch die Energien frei, die uns angeblich glücklich machen.

Seitdem ich den Ratgeber gelesen habe, fühle ich mich ganz, ganz schlecht. Etwa wenn ich meine Grünlilie sehe mit ihren herabhängenden Ablegern. Die ziehen mich ’runter, sagt der Ratgeber, und seit ich es weiß, fühle ich mich so niedergeschlagen. Dann der ganze Nippes, der so schrecklich allein ist. Er beschert meinem Leben Einsamkeit. Erst paarweise auftretende Ziergegenstände, will mir der Ratgeber weismachen, powern die Energie in meiner Wohnung so auf, dass ich eine glückliche Partnerschaft erreichen kann. Woher sollen der eine Kerzenleuchter, die eine Maske aus Afrika und das eine Bild des befreundeten Malers auch wissen, dass ich überhaupt nicht einsam bin und längst einen Partner habe? Vielleicht sollte sich der so genannte Krempel mal meinem Energiefeld anpassen und nicht umgekehrt.

Das goldene Tässchen bleibt also, wo es ist. Auch wenn mein Urgroßvater laut Feng-Shui-Ratgeber schon in der geistigen Welt ist, in der es keine Anhaftungen an das Materielle gibt. Ich werde das edle Stück weiter in Ehren halten. Mein Energiefluss wird’s verschmerzen, wenn er im Geschirrschrank mal eine Kurve nehmen muss.