Der Furor um Tatort-Watch und andere Unwichtigkeiten

Es reicht! Ich kann’s nicht mehr lesen, dieses Getue um den sprachlichen Umgang mit angeblichen oder echten Minderheiten. Dieses Sezieren von Texten, Filmen oder Reden auf der Suche nach der schlimmen, schlimmen Verfehlung. Dieses Herumreiten auf der Gedankenlosigkeit oder gar Bösartigkeit der Welt, die sich in Gedrucktem und Gesendeten ausdrückt. Und jetzt auch noch „Tatort-Watch“. Auf dass nichts mehr übrig bleibt, was nicht im Sinne des Guten und aus Liebe zu wem oder was auch immer überwacht wird. Es geschieht ja, so wird es immer wieder betont, allein für die gute Sache.

Ich bin gegen Sprache, die verletzt. Aber ich bin für eine schöne und elegante Sprache und damit gegen übertriebenes Gendern. Dagegen, dass sich mit dem Gender-Gap jetzt auch Intersexuelle und Transgender mitgenannt fühlen sollen. Wollen wir unsere geschriebene Sprache so weit verhunzen, dass tatsächlich jeder irgendwie mitgenannt wird. Ich finde, behinderte Menschen dürfen so, aber auch Menschen mit Behinderungen genannt werden, und Behindertenwerkstätten dürfen ebenfalls so heißen. Was soll ich von einem Text über Altersdiskriminierung in der Sprache halten, dem dieses vorangestellt wird:

[Hinweis: Der folgende Text enthält Beispiele sexistischer und altersdiskriminierender Sprache.]

Erwartet der Autor allen Ernstes, dass ich einen bleibenden Schaden davontrage, wenn ich einen solchen Text lese? Oder was soll ich von diesem Warnhinweis halten? In einem anderen Text bin ich über diesen Satz gestolpert: „Mich interessiert nicht das Verhältnis von Frauen und Männern und anderen Geschlechtern, sondern mich interessieren Ansätze, die von der weiblichen Freiheit ausgehend eine Veränderung der traditionell männlich dominierten und von patriarchalen Strukturen verseuchten Verhältnisse anstreben.“ Das kann man so sehen. Ich frage mich angesichts des feministischen Furors nur manchmal, ob ich noch normal bin, wenn ich die Welt nicht als von patriarchalen Strukturen verseucht ansehe?

Nun also noch Tatort-Watch. Viel diskutiert, für mich einfach daneben. Eine Gruppe von Bündnis 90/Die Grünen macht sich unter dem Twitter-Account @tatortwatch daran, „aus Liebe zum Tatort und BürgerInnenrechten“ die „BürgerInnenrechtsverletzungen“ – was für verquere Wortschöpfungen, ich lese immer Innenrechtsverletzung – im Tatort zu geißeln. Dazu die Frage: „Darf der Tatort das?“ Dazu sage ich mal: Die Frage stellt sich gar nicht. Tatort ist Fiktion, ist Kunst, ist manchmal auch Vergnügen oder Spannung oder beides. Oder auch Langeweile oder krauses Zeug. Aber Tatort ist kein Vortrag über Menschenrechte, keine Dokumentation und kein Lehrfilm für künftige Kommissare. Wer den Tatort hinsichtlich der Menschenrechte auf den Prüfstand stellt, stellt ihn auch hinsichtlich der Arbeitsweise der Kommissare auf den Prüfstand. Dann müssten die Ermittler Stellbrink (Devid Striesow), Nick Tschiller (Til Schweiger), Frank Thiel (Alex Prahl) und Gerichtsmediziner Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) schon längst hochkant gefeuert worden sein.

Es ist ja nicht so, dass der Zuschauer zu blöd wäre, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Schenk und Ballauf schreiben im Tatort nie Berichte. Aber selbst jemand, der noch nie ein echtes Kommissariat von innen gesehen hat, weiß, dass das nicht der Realität entspricht. Und doch käme niemand darauf, einen Warnhinweis anzubringen: „Achtung, das wahre Kommissarsleben ist viel langweiliger als das im Film.“ Warum also Tatort-Watch?

Die Schwarzen haben Tatort-Watch sofort für den Wahlkampf vereinnahmt. Sie attestieren den Grünen einen Tugendfuror*. Ganz unrecht haben sie nicht. Die Debatte um Sinn oder Unsinn von Tatort-Watch wird vor allem bei Twitter ausgetragen.

 

 

 

 

 


Ob es ein Twitter-Wahlkampf wird? Twitter-Nutzer vermuteten zunächst einen Fake-Account. Hätte ich auch. Die Idee ist so abstrus, dass sie gar nicht ernst gemeint sein kann. Ist sie aber doch. Immerhin haben die Grünen hier verkündet, das alles nicht so bierernst nehmen zu wollen. Da frage ich mich, warum die es überhaupt machen.

Vor allem aber frage ich mich: Wann werden wir alle wieder normal? Ich muss mein Plädoyer für mehr Gelassenheit hier noch einmal wiederholen. Denn ich habe den Eindruck, dass uns die Gelassenheit mehr und mehr abhanden kommt. Es ist ja schön, wenn Menschen ihr Lebensthema finden und sich dafür einsetzen. Aber mir ist das alles zu verbissen, zu oberlehrerhaft, zu dogmatisch.

Jeder weiß, was es an wirklich wichtigen Dingen in unserer Gesellschaft zu ändern gebe. Angebliche Menschenrechtsverletzungen im Tatort gehören nun wirklich nicht dazu.

Zum Tatort-Watch gibt es natürlich auch eine Gegenaktion. Sie heißt https://twitter.com/WatchTatort

*Furor, eigentlich Furor teutonicus, ist ein sehr schönes Wort, finde ich. Und sehr teutonisch.

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