Fru Öttenpötter vertellt: Ko-Dorf statt Kuhdorf

Öttenpötters leben jetzt schon 16 Jahre auf dem Land. Mehr Land geht nicht mehr. Ein Nachbar auf der einen Seite, eine Ziegelei-Ruine auf der anderen, das ist alles. Das nächste Dorf ist zwei Kilometer entfernt, die nächste Mini-Kleinstadt neun, die Kreisstadt 16 Kilometer. Dieses ländlichste aller Landleben soll jetzt angeblich wieder Trend werden – nicht als Kuhdorf, sondern als Ko-Dorf.

Abend im Katengarten

Angeblich potenziert das Ko-Dorf die Trendthemen Coworking und Coliving, sagt Ko-Dorf-Experte Frederik Fischer im E-Bay-Kleinanzeigen-Magazin. Coworking? Coliving? Ich sehe die Damen im Dorf schon den wohl ondulierten Kopf schütteln. Gemeinsam arbeiten und gemeinsam leben sind auf dem Dorf aber nichts ungewöhnliches, jedenfalls war das früher so. Die Leute hockten in einem sehr kleinen Gemeinwesen aufeinander – so ist es heute noch – und halfen sich oft gegenseitig bei der Arbeit. Das ist heute ganz anders, die arbeiten fast alle außerhalb.

Vorteile der Stadt

Experte Fischer meint, das Ko-Dorf ermögliche urbanes Leben auf dem Land. Moment mal: Urban heißt städtisch, und das ist nun wirklich das Gegenteil von Dorf. Aber in einem hat der Mann Recht. Das Leben in den Großstädten wird zunehmend nerviger. Teurer. Anstrengender. Ich habe schon überall gelebt, in kleinen und großen Städten, in strukturschwachen Regionen und in boomenden. Es ist schön, die Kneipe um die Ecke zu haben. Es ist schön, zu Fuß ins Theater gehen zu können. Es ist schön, die vergessene Butter eben noch schnell holen zu können, ohne dafür mit dem Auto etliche Kilometer zurückzulegen.

Aber: Es ist nicht schön, wenn einem als Laternenparker zum dritten Mal innerhalb eines Jahres der 400 Euro teure elektrisch verstellbare Seitenspiegel abgetreten wird. Es ist nicht schön, wenn es einen an der nächsten Ecke von den Duftmarken der Wildpinkler würgt. Und es ist alles andere als angenehm, wenn einem am Tag nach Silvester irgendwelche Idioten einen Böller durch den vom Bordstein aus zugänglichen Briefschlitz in die direkt dahinter liegende Küche werfen. Und erst recht ist es kein Vergnügen, jeden Abend auf der Suche nach einem Parkplatz drei, vier Runden um den Block zu drehen.

Nachteile des Landlebens

Alles Nachteile, die es auf dem Land nicht gibt. Dafür gibt es keinen Essenslieferservice, der wegen der Entfernung ohne Aufpreis liefert. Es gibt engstirnige Landfrauen, die keine Tiefkühltorten akzeptieren, und erst recht gibt es keine ordentliche Busverbindung. Aufs schnelle Internet haben wir gefühlt Jahrzehnte warten müssen.

Aber, um aufs Ko-Dorf zurückzukommen, demnächst gibt es neue Modelle fürs Landleben, die ein bisschen urbaner sind als das, was wir hier haben. Das Ko-Dorf ist laut Fischer ein Wohngebiet mit Gemeinschaftsgebäuden und – im Idealfall – Arbeitsplätzen, die ein gemeinsames Leben und Arbeiten ermöglichen, die den Lebensstil der Städte aufs Land verpflanzen. Tatsächlich scheint das ein Trend zu sein, denn selbst in unserer tiefen Provinz gibt es bereits Pläne für solche Wohnprojekte. Klingt erst einmal gut. Natur, frische Luft, kleinteilige Strukturen, bezahlbare Grundstücke, eine gemeinsame Idee, die möglichst gemeinsam umgesetzt wird. Ganz nach Wunsch derer, die dabei sein wollen und können.

Andere wählen weniger plakative Namen als Ko-Dorf, wollen aber das gleiche. Das heißt dann alternatives gemeinschaftliches Wohnprojekt oder soziales Wohnprojekt oder natürliches Wohnen in Gemeinschaft. Alle diese Projekte setzen auf gemeinsame Ideen vom Miteinander, auf Gemeinschaftseinrichtungen und oft auch auf ein Leitungs- oder Organisationsteam. Viele dieser Projekte suchen sich Kleinstädte oder größere Dörfer als Standorte aus. Auf den ersten Blick eine gute Idee.

Das Fluidum vormachen

Ein bisschen mulmig ist mir als seit Jahren eingefleischten Landbewohnerin dabei aber doch. Ich habe die Sorge, das da ein Dorf im Dorf entsteht. Dass Leute kommen, die sich als etwas besseres fühlen, die mit einer frischen Idee dem Kuhdorf mal zeigen wollen, wie Ko-Dorf geht. Die Trendthemen wie Coworking und Coliving vormachen. Die ihr eigenes Coworking Space aufbauen, mit, wie es bei Fischer heißt, modernen, fluiden Formen der Gemeinschaft.

Der Experte erhofft sich davon, dass diese Ko-Dörfer auch die Kuhdörfer beleben. Dass sie Arbeitsplätze schaffen und das kulturelle und gastronomische Angebot vor Ort bereichern. Das klingt ein wenig herablassend. Unser kulturelles Angebot hier im Dorf bereichern wir schon selbst. Wie können das und haben es bereits bewiesen. Gastronomie haben wir ebenfalls zu bieten, sogar gehobene.

Offene Arme für Bauer Piepenbrink?

Ob aber gewachsene Dorfstrukturen mit ihren – ich weiß wovon ich rede – manchmal doch recht altbackenen Ansichten wirklich das Ko-Dorf mit offenen Armen in ihren Reihen aufnehmen und ob die Coworker und Coliver tatsächlich in die Feuerwehr eintreten, beim Skatabend im Krug mit am Tisch sitzen und Bauer Piepenbrink beim Folk-Abend in ihrem Gemeinschaftshaus begrüßen, muss die Zukunft zeigen. Es wäre gut, ein bisschen frischen Wind kann das Landleben ganz gut gebrauchen.

Vielleicht läuft alles ganz prima. Die Dörfer haben schon einmal vorgemacht, wie es geht. Als in den 1970er- und 1980er-Jahren die B-Plan-Leute kamen, waren deren Neubaugebiete zunächst auch Dörfer im Dorf. Und heute? Sind sie ganz selbstverständlich Teil der dörflichen Gemeinschaft. Ganz ohne Coworking und Coliving.

Fru Öttenpötter berichtet hier in unregelmäßigen Abständen über das Leben auf dem Lande.

2 Kommentare

  1. Hab ich bisher überall absterben sehen, wenn’s nicht die von Dumpfbraunen annektierten Dörfer sind, die das schon lange praktizieren, nur … etwas sehr eigen definiert. Sekten haben das auch gemacht oder Künstlerkommunen, ökologisch bewegte Menschen … und eben auch die „Urbanen“.
    Vor einigen Jahren wurde eins der berühmtesten Künstlerdörfer Europas an der französisch-italienischen Grenze wie Sauerbier angeboten, ein Haus zum Symbolpreis von ein, zwei Euro. Es ist schlicht ausgestorben, weil die eingeschworene Gemeinschaft nicht für neues Blut sorgte und die GründerInnen jetzt alle im Alter in die Stadt ziehen.

    Die Beispiele, die ich kenne, gingen alle an einer Menschenmonokultur ein, an der Bildung einer Bubble, die die Einheimischen nicht einbezog und gegenüber Neuankömmlingen rigide war – also genau das, was du befürchtest.
    Viele gingen auch am „Urbanen“ kaputt, dem Unvermögen, wirklich mit der Natur zu leben, diese auch entsprechend zu erhalten und zu pflegen. Da war dann doch der Laubbläser schnell beliebter, weil die Natur so „dreckig“ war.

    Die Wiederbelebung von ländlichem Raum funktioniert dann, wenn KommunalpolitikerInnen für attraktive Infrastruktur (von Nahverkehr bis medizinische Versorgung und Schulen) sorgen und Möglichkeiten für Arbeitsplätze nicht nur im Homeoffice geschaffen werden. Wenn alle Generationen etwas davon haben, vom Kleinkind bis zu den Alten. Dann kommen die richtigen Leute von ganz allein (ich kenne solche Projekte).

    Die urbanen Hipster, die da angesprochen werden, wollen übrigens zuerst eins: Superschnelles Internet ohne Pannen. Und keine Autos mehr, sprich Alternativen.

    1. Es kann auch funktionieren, dafür gibt es hier bereits einige wenige Beispiele. Allerdings leben diese Projekte bisher höchsten 5 oder 6 Jahre. Wie es 10 oder 20 Jahen läuft, wird sich erst noch zeigen. Was mich an vielen dieser Wohnprojekten stört, ist die oft esoterische Ausrichtung. Das ist gar nichts für mich.

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