Vivaldi und die schönen Mädchen

Wir geben ein Konzert. Wir, das ist der St.-Johannes-Chor Lübeck-Kücknitz, und auf dem Programm steht dieses Mal das Gloria in D-Dur von Antonio Vivaldi, RV 589. Gelernt habe ich bei den Proben nicht nur das Stück, sondern auch, dass schon früher das Aussehen bei Konzerten eine Rolle spielte und dass schöne Mädchen oder Frauen auch zu Vivaldis Zeit ein Garant für volle Zuhörerreihen sein konnten.

Unser Klavierauszug ist vom Carus-Verlag (das ist der mit den schönen Noten), und wie es sich für eine ordentliche Notenausgabe gehört, hat er ein Vorwort. Darin habe ich während Wartezeiten in der Chorprobe gelesen. In diesem Vorwort schreibt der Vivaldi-Experte und Herausgeber Hartwig Bögel über Vivaldis Kirchenmusik und über das Gloria. Vivaldi war schon zu Lebzeiten populär. Und er schrieb Auftragsstücke, schließlich muss auch ein Komponist seine Brötchen verdienen. Als Angestellter eines venezianischen Waisenhauses komponierte er Werke, die der musikalischen Ausbildung junger Mädchen dienten, die im Chorgesang geschult wurden. Die Waisen sangen im Gottesdienst, es gab aber auch Konzertaufführungen, ganz wie bei unserem Kirchenchor heutzutage.

Wie heute kosteten die Konzerte damals Eintritt. Heutzutage muss davon die Aufführung, etwa die Gagen von Orchestermusikern und Solisten, bestritten werden. Damals diente das eingenommene Geld laut Bögel dazu, das Waisenhaus zu finanzieren.

Weiter schreibt er, dass der künstlerische Wert der Aufführungen nach Aussagen von Zeitgenossen beachtlich gewesen sein muss. Offenbar zahlten die Zuhörer gern, um in den Genuss des Auftritts der Mädchen zu kommen. Ob dabei nur der Hörgenuss eine Rolle spielte? Vermutlich nicht, wie auch Bögel meint. Zum Beleg führt er in den Fußnoten eine Beschreibung von Charles de Brosses (1709-1777), Comte de Tournay, Baron de Montfalcon, Seigneur de Vezins et de Prevessin (was für ein Name!) an. Der schrieb aus Italien vertrauliche Briefe an seine Freunde in Dijon, so auch der Titel des gleichnamigen Buches. Das gibt es noch in einer Ausgabe von 1918 für satte 260 Euro bei Amazon.

Jener de Brosses schrieb ganz vertraulich, ein Teil der Begeisterung für die Vivaldi-Konzerte beruhe „auf der visuellen Komponente“. Sprich: Schon damals war das Aussehen von Musikern und Sängerinnen genauso wichtig wie heute. Bühnenpräsenz ist halt alles.

So viel Schönheit bringen wir nicht auf die Bühne,  höchstens unsere Solisten. Wir punkten mit Klang. Und natürlich zieht auch Vivaldis Musik hoffentlich viele Zuhörer an. Wer die „Jahreszeiten“ mag, wird auch das Gloria mögen. Ein typischer Vivaldi halt, auch ohne visuelle Komponente.

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