Recherche in Vor-Google-Zeiten

Ich bin inzwischen im „Damals“-Alter. Das ist das Alter, in dem man Jüngeren erzählt, wie es damals war. Ich habe viel von damals zu erzählen, denn seit diesem „Damals“ hat sich einiges in meiner beruflichen Tätigkeit verändert. Wie haben wir Journalisten nur im Vor-Google-Zeitalter recherchiert? Anlässlich des Lübecker Hafenstraßen-Brandes vor 20 Jahren ist mir dieser Gedanke wieder gekommen.

An jenem 18. Januar 1996 starben zehn Menschen, als eine Asylbewerberunterkunft in Lübeck brannte. Ich war als Reporterin dabei. Von meinem damaligen Chefredakteur hatte ich unter anderem den Auftrag, bis zum Andruck am Abend – von online war noch keine Rede – Porträts der Todesopfer zu besorgen. Was für eine Aufgabe. Es ging um Menschen, die keinerlei Wurzeln in Lübeck hatten, die mit ihrem Leben auch ihr gesamtes spärliches Hab und Gut in einem verheerenden Feuer verloren hatten. Darunter Kinder im Alter von wenigen Jahren.

Heute wäre das kein Problem gewesen. Dank des weltweiten Netzes, Google und der sozialen Medien lässt sich beinahe alles herausfinden und beschaffen. Und wenn es nicht da ist, gibt es jemanden, der weiß, wo es zu finden ist. Und wenn es dann gefunden ist, ist es in Minuten in der Redaktion, E-Mail und Dropbox machen’s möglich.

Wie war es damals ? Den Großteil der Fotos habe ich beschaffen können. Aber nur dank meiner guten Kontakte zur afrikanischen Community in Lübeck. Damals wie heute durften Flüchtlinge irgendwann in eigene Wohnungen ziehen, und über diese Kontakte bin ich an die Fotos gekommen. Fotos, die auf Partys entstanden, bei Treffen, bei gemeinsamen Unternehmungen. Heute wie damals suchen Fremde in einer Stadt Landsleute, und diese Landsleute hatten Fotos, Papierabzüge natürlich. Aber herauszufinden, wer Fotos hat, war aufwendig. Es ging nur über Telefon und persönliche Kontakte. Das kostet Zeit, Zeit, die ich an diesem Tag gar nicht hatte.

Damit waren die Fotos aber immer noch nicht in der Redaktion. Es war die Zeit, in der Taxifahrer Bilder holten. Später wurden sie mit der Post oder wieder per Taxi zurückgeschickt. Heute unvorstellbar, was damals alles von Taxis oder von uns selbst durch die Gegend gefahren wurde.

Auch im täglichen Redaktionsleben lief ohne Google vieles anders. Musste ich nachsehen, ob es der Komponist Strawinski oder Strawinsky geschrieben wird, half der zwölfbändige Brockhaus, der in der Redaktion stand. Fehlte irgendwo in einer Pressemeldung ein Uhrzeit oder etwas anderes, half nur ein Anruf – der oft genug ins Leere lief, weil kaum jemand einen Anrufbeantworter und schon gar kein Handy hatte. Überhaupt kamen Pressemitteilungen entweder per Post oder per Fax, und lange nicht in so großer Zahl wie heute. Es war eben deutlich aufwendiger, einen Brief zu schreiben und zu schicken, als eine E-Mail auf den Weg zu bringen.

Google also, Helfer in fast jeder Lebenslage. Das gilt heute tatsächlich in den Redaktionen. Nicht, um für die Recherche nicht mehr den Schreibtisch zu verlassen (bei der Kripo heißt das übrigens „bürogestützte Ermittlung“), sondern um Angaben zu überprüfen. Bei fast jeder zweiten Meldung, die ich bearbeite, muss ich hinterher googlen, weil eine Information fehlt.

Klingt übrigens einfacher, als es ist. Beginnt die Passionsandacht wirklich morgens um 8 Uhr, wie die Kirchengemeinde mitgeteilt hat? Ist nicht 18 gemeint? Schnell mal googeln. Fehlanzeige. Die letzte Aktualisierung auf der Kirchenseite ist acht Monate alt. Eine Nachfrage ergibt, dass die Mitarbeiterin, die sie gepflegt hat, nicht mehr bei dieser Gemeinde ist. Jemand anderes hat sich noch nicht mit der Webseitenpflege befasst. Auch ein Problem: Je länger das Internet existiert, desto aufwändiger die Suche nach Informationen. Wenn ich den Beginn des Neujahrsempfangs in einem bestimmten Ort suche, finde ich die Terminhinweise der Jahre 2016, 2015, 2014, 2013 . . . Aber ich will nicht jammern: Immer noch besser, als mehrfach anzurufen, um endlich jemanden zu erreichen.

Doch zurück zu den wirklich großen Recherchen, etwa über Unglücksfälle. Heute ist dank Social Media schnell ein Name gefunden, als Faden, an dem man ziehen kann. Ich kann mich an einen Fall im Vor-Google-Zeitalter erinnern, bei dem ich mich durch halb Norddeutschland telefoniert habe, um endlich an Namen, Infos, Bilder zu kommen. Erster Anfasser war übrigens ein Gartenzaun-Gespräch mit einem Nachbarn der Eltern des Opfers. Immerhin waren die einigermaßen schnell zu finden. Am Ende habe ich meine Informationen noch verifizieren müssen, in dem ich einen Polizeibeamten abends im Sportlerheim seines Fußballvereins übers Tresentelefon angerufen habe. Damals wusste ich noch nicht, wie man Handy schreibt.

Wer übrigens noch genauer wissen möchte, wie wir noch vor 20 oder 25 Jahren gearbeitet haben, dem lege ich noch die Steinzeit der Zeitungsfotografie und der Textübertragung ans Herz. Schon mal vom Akustikkoppler gehört?

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert