Wer 100 kann, kann auch 30 (Zeilen): kürzen leicht gemacht

„Wer 100 kann, kann auch 30“, lautet ein alter Zeitungsspruch, oder umgekehrt: „Wer 30 kann, kann auch 100.“ Gemeint sind Zeilen, Druckzeilen. Nicht immer kann der Redakteur so lang schreiben, wie er möchte, denn da sei das Layout vor. Spätestens seitdem es Blockumbruch gibt, müssen Inhalt und Zeilenzahl vom Layouter in Übereinstimmung gebracht werden. Da ist es gut, jeden Inhalt auf jede Länge bringen zu können. Manchmal ist es aber auch im Sinne des Textes, ihn zu kürzen.

Wie aber kürzen? „Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich mich kürzer gefasst“, soll Goethe einst an Schiller geschrieben haben. Was beweist, dass kurz schreiben Arbeit macht und Zeit kostet. Aber den Texten tut es gut. Ich habe mir angewöhnt, je nach Länge des Textes auf die Frage des Layouters, wie viele Zeilen ich brauche, zwischen zehn und 20 Zeilen weniger anzugeben, als der Rohtext hat. Das Kürzen macht Texte besser. Das zeigen schon einige wenige Beispiele.

die erfolgreichen Sieger -> die Sieger

keine notwendige Voraussetzung -> keine Voraussetzung -> nicht nötig

Musikschüler bringen kammermusikalische Werke zu Gehör -> Musikschüler spielen Kammermusik.

es sind noch einige Restplätze frei -> es sind noch Plätze frei

zur Entscheidung kommen -> entscheiden

zur Anwendung kommen -> anwenden

aufgrund der eingeschränkten Platzverhältnisse -> weil dort wenig Platz ist.

Die Veranstaltung wird eine musikalische Begleitung erfahren -> zwischendurch erklingt Musik –>

Brückenbauwerk -> Brücke. (Straßenbauer-Deutsch)

Wer konsequent Substantive durch Verben ersetzt, wo immer es geht, wer die vom Sprachpapst Wolf Schneider angeprangerten „mödischen Blähworter“ entbläht (Feierlichkeiten -> Feiern/Räumlichkeiten –> Räume, Problematik –> Problem), wer Füllwörter streicht, der schreibt automatisch nicht nur kürzer, sondern auch eleganter und besser. Aber das macht Arbeit und kostet Zeit. Die sollte sich jeder Autor nehmen. Also frisch ans Werk und kürzen! Also ans Werk und kürzen!

Übrigens wird das Korsett des Layouts für viele professionelle Schreiber wie uns Journalisten zunehmend gelockert. Bei Online-Texten gibt es keine festen Zeilenvorgaben. Das ist eine Chance – nicht länger zu schreiben als nötig, um die vorgegebene Zeilenzahl zu erreichen – und ein Fluch: Denn wenn einen kein Korsett zwingt, kurz und gut zu schreiben, muss man sich selbst dazu zwingen. Also nicht nachgeben. Die Leser werden’s uns danken.

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