Nackter Mais: das gestellte Pressefoto

„Nur ein gestelltes Pressefoto ist ein gutes Pressefoto“ lautet ein alter Kalauer in Redaktionen. Darin steckt ein Körnchen Wahrheit, aber auch eine Frechheit gegenüber den Lesern und Betrachtern. Pressefotos sind von Haus aus dokumentarisch, sollen also die Wirklichkeit zeigen, wie sie ist. Deshalb ist der Begriff „gestelltes Pressefoto“ beinahe ein Widerspruch in sich. Aber manchmal kann die Aussage nur erreicht oder unterstrichen werden, wenn der Fotograf ein bisschen mithilft. Als Beispiel soll dieses Foto dienen.

Maisernte, wie sie in der Realität niemals vorkommt.
Maisernte, wie sie in der Realität niemals vorkommt.

Was ist falsch an diesem Foto? Ackerbauern erkennen es sofort. Wenn der Mais gehäckselt wird, dann schneidet der Häcksler die komplette Pflanze ab. Was dabei niemals zu sehen ist, sind – Maiskolben. Die verstecken sich hinter Blättern und werden für die Ernte nicht davon befreit. Die Kolben wandern gut eingepackt in den Häcksler. Das aber würde die Bildaussage deutlich erschweren. Also habe ich für das Foto oben einen Kolben entblättert und ihn etwas nach unten gebogen, damit er im Vordergrund ins Bild ragt. Ein gestelltes Pressefoto also.

Ist das zulässig? Ja, denn die Manipulation, so es denn überhaupt eine ist, unterstreicht nicht nur die Bildaussage, sondern zeigt auch dem landwirtschaftlich nicht vorgebildeten Leser auf den ersten Blick, worum es geht. Solche kleinen Nachhilfen sind meiner Meinung nach zulässig, wenn wir über Pressefotos im Lokalen oder Regionalen, um Bilder aus unserem Umfeld sprechen. Was ist ein Gruppenfoto zu einer Geschichte im Lokalblatt anderes als ein gestelltes Foto? Was ist verwerflich daran, wenn vor dem Fotografieren noch schnell störende Gegenstände im Hintergrund weggeräumt werden oder das Motiv Mensch so gestellt wird, dass ihm keine Palme aus dem Kopf wächst. Wer behauptet, bei Pressefotos werde nicht arrangiert – die sanfte Form des Manipulierens -, der ist weltfremd. Man denke nur an die berühmt-berüchtigten ersten Spatenstiche. Das sind Aktionen, die sogar nur extra für Pressefotos gestellt werden.

Etwas ganz anderes sind Pressefotos etwa von Kriegshandlungen, Unfällen, Großfeuern, also Katastrophen jeder Art, von Bausünden, Umweltschäden oder Sportfotos. Bei diesen Bildern verbietet sich jede Manipulation von selbst. Den Mais nackig zu machen ist dagegen für Pressefotografen eine lässliche Sünde.

3 Kommentare

  1. Hallo Susanne,

    vielleicht bin ich aus meiner persönlichen Geschichten ein wenig zu sehr von Pressemanipulationen geprägt, um Deinen Beitrag ganz unwidersprochen hinzunehmen.

    Wir sprechen hier von einer industrialisierten Form der Landwirtschaft, die Lebensmittel zu m.E. ungesunden Industrieprodukten macht. Hier nun das Produkt so darzustellen, wie es der Verbraucher *nach* der industriellen Verarbeitung kennt ist natürlich schon eine Form der Manipulation und gaukelt ihm ggf. eine Form der Landwirtschaft vor, die es so heute nicht mehr oder kaum nch gibt.

    Dazu kommt natürllich, dass die Maiskolben an der Pflanze nach oben wachsen und sich nichteinmal nach unten bigen, wenn der Bauer sie auf dem Feld verrotten lässt. Dass man hier in Sachen Pflanzenwelt unbedarften Personen oder speziell gerade Kindern ein falsches Bild in den Kopf pflanzt, eben weil das Bild ja ohne Deinen Zusatztext veröffentlich wird, ist unschön.

    Ich habe mich als Kind sehr geärgert, wenn ich z.B. Texte in der Zeitung las und dann die Worte in Schreibweise oder Trennung so übernahm und das vom Lehrer als Fehler angestrichen wurde. Klar kommt dann der Redakteur und sagt, wir sind hier kein „Ersatzduden“ aber natürlich schleicht sich so eine Schreibweise/Bild in den Kopf und bleibt dort in einer gweissen Weise haften. Gerade das „nach unten Biegen“ verstehe ich daher nicht. Zumal der Kolben ja auch aufrecht hätte entblättert werden können.

    Nicht dass wir uns falsch verstehen. Ich selbst bin ein großer Fan von künstlerisch verfremdeten Fotos. Ich betrachte es als meine künstlerische Aufgabe, eine Welt darzustellen wie sie nicht ist (wenn ich das auch meist in entlarvend (ggf. angedeutet surrealistischer) Weise zu tun pflege. Aber speziell sei ich „Warphotographer“ von Christian Frei über die Arbeit von James NAchtwey gesehen habe bin ich in Bezug auf Pressefotos erneut stark sensibilisert. Dort wird gezeigt, mit welch zynischer Skrupellosigkeit die Readktion des Stern bestimmte Fotos auswählt, um die Aussage einer geplanten Bildstrecke zu stützen. Dabei wäre es m.E. Aufgabe der Redaktion, die geplanten Aussage in Frage zu stellen, wenn sie nicht ohne zynische Auswahl des Bildmaterials zu stützen ist und dem Leser ein differenziertes Bild an Hand der Unterschiedlichkeit des zur Verfügung stehenden Bildmaterials zu vermitteln. (den Film kanns DU gerne bei mir ausleihene, wenn Du ihn nicht kennst).

    Wenn also die industrialisierte Landwirtschaft das Produkt im Ernteprozess nicht mehr sichtbar macht, wäre es m.E. die Aufgabe des Pressefotografen, der das Produkt zeigen will, an die Stelle des Vearbeitungsprozesses zu gehen, an der das Produkt sichtbar wird. Ja, das ist evtl. mühsamer und ja, das Bild wird sicher nicht so romantisch und evtl. nicht so toll werden, wie das Bild, das Du hier präsentierst. Aber es kann eben auch nicht dazu verwendet werden, dem unbedarften Verbraucher ein romantisiertes Bild einer vermeintlich heilen bäuerlichen Welt „unterzujubeln“.

    Ich selbst stand übrigens vor genau diesem Dilemma, als ich im letzten Jahr die Möglichkeit bekam, einen Blogartikel über eine komplett künstliche Welt – das Phantasialand in Brühl zu schreiben und zu photographieren. Ich entschied mich damals, dass die Bilder eben genau diese gestellte Künstlichkeit entlarven sollten. Ob sie das taten, muss jeder selbst beurteilen.

    herzlichen Gruß
    Micha

  2. Lieber Micha,

    danke für Deinen ausführlichen Kommentar. Deine Sicht, dass ich hier eine industrielle Landwirtschaft romantisiert hätte, kann ich so nicht nachvollziehen. Der Trecker ist echt, der Fahrer ist echt, das Feld ist echt, der Mais ist echt. Das einzige, was ich arrangiert habe, ist der eine Maiskolben rechts im Vordergrund. Alles andere ist sozusagen out of cam und zeigt eine Maisernte, wie sie hier bei uns jetzt jeden Tag zu sehen ist. Die Kolben kommen auch nicht auf den Tisch des Verbrauchers, sondern das Häckselgut wird siliert und dient im Winter als Viehfutter – oder es kommt in die Biogas-Anlage. Insofern ist das Foto mit Ausnahme des eigenen Kolbens eine Darstellung der Wirklichkeit.
    Allerdings, und da gebe ich Dir Recht, ist jedes Foto ein Stückchen manipulierte Wirklichkeit. Das gilt auch für Dein Beispiel vom Phantasieland in Brühl. Du wolltest die Künstlichkeit dieses Ortes darstellen, eine Künstlichkeit, die andere vielleicht gar nicht empfunden hätten. Also hast Du Deinen Blickwinkel auf das Bild übertragen – und damit, um beim Beispiel der Kinder zu bleiben – vielleicht deren Illusionen zerstört.
    Was Pressefotos angeht, so glaube ich, dass der Leser durchaus in der Lage ist, gestellte Fotos von ungestellten zu unterscheiden. Man denke nur an die sehr weiter verbreiteten Gruppenfotos. Niemand käme auf die Idee, die als vollkommen dokumentarisch anzusehen. Das gilt auch für vieles andere, was täglich für Medien abgebildet wird. Wir wissen nicht einmal, ob das berühmte Selfie von Angela Merkel und dem Flüchtling genau so stattgefunden hat. Meine Vermutung: Es war so, aber es ist für die Fotografen noch einmal wiederholt worden. Wetten?

    Liebe Grüße,
    Susanne

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