Konfirmation im Gleichschritt oder: Was haben wir uns alles bieten lassen.

Uns steht im Mai die Konfirmation unserer Tochter ins Haus. Das weckt Erinnerungen an meine eigene Konfirmation. Und nicht nur das. Es führt mir vor Augen, wie sehr sich die Gesellschaft seitdem gewandelt und von Bevormundung befreit hat. Der Wandel ist so groß, das können sich die jungen Leute von heute gar nicht mehr vorstellen. Und damit will ich nicht sagen, dass damals alles besser war. Ganz im Gegenteil.

Konfirmation 1974: Alle gleich und schön in Reih und Glied.
Konfirmation 1974: Alle gleich und schön in Reih und Glied.

Nichts belegt besser meine Einschätzung als das offizielle Konfirmationsbild von meiner Konfirmation. Fotos dieser Art wurden übrigens jedes Jahr gemacht. Immer gleich, immer der Pastor in der Mitte, immer Mädchen und Jungen getrennt und immer vom selben Fotostudio. Das Bild zeigt aber auch, wie sehr wir bevormundet wurden. Das fing bei der Kleidung an. Der Pastor schrieb in meinem Jahrgang vor, dass alle Mädchen spezielle weiße Konfirmationskleider mit weißen Schuhen zu tragen hätten, dazu Myrtenkränze. Wir waren vier Kinder zu Hause, meine Eltern hatten nicht viel Geld und ich eine zwei Jahre jüngere Schwester. Die Hoffnung meiner Mutter, meine Schwester könne mein teures Konfirmationskleid ebenfalls tragen, wurde bitter enttäuscht. Zwei Jahre später schrieb derselbe Pastor weiße Bluse und schwarzen Rock vor. Hinzu kam, dass wir in meinem Jahrgang 120 Konfirmanden waren. Alle wurden in einem Gottesdienst konfirmiert. Gut, die heimische Stiftskirche ist groß, dennoch war es eine Zumutung für alle Beteiligten und eine Massenabfertigung, die wir an unserem für uns so besonderen Tag nicht verdient hatten.

Wäre das alles heute vorstellbar? Wohl kaum. Dass eine Autoritätsperson, sei es Pastor, Lehrer oder wer auch immer, eine bestimmte Kleidung vorschreibt, triebe Kinder und Eltern unisono auf die Barrikaden (Ausnahme Sportkleidung, bei der Sicherheitsfragen eine Rolle spielen, etwa Schienbeinschützer oder Reitkappe). In Zeiten, in denen Bürgerinitiativen, die Protestkultur und die Individualität ihre höchste Blüte erreicht haben, wären die Vorschriften von damals undenkbar. Und das ist auch gut so. Jedenfalls meistens. Und vor allem bei etwas so Banalem wie der richtigen Kleidung oder etwas so wichtigem wie der Frage, ob man wirklich 120 Konfirmanden in einem Gottesdienst einsegnen muss.

Um es auf andere Themenfelder zu übertragen: Beim Umweltschutz, bei Verbraucherrechten, bei der Datensicherheit und bei vielen anderen wichtigen Themen ist es gut, dass wir uns nicht mehr alles bieten lassen. Wie groß ist doch der Wandel seit den 1970er-Jahren.

Andererseits wünsche ich mir bei manchen Themen ein bisschen mehr Gelassenheit. Ein schönes Beispiel dafür war die Rechtschreibreform. Wie viel Wirbel, wie viel erbitterter Streit für eine Sache, die des Streitens in dieser Heftigkeit nicht wert war. Ähnlich geht es mir mit dem Feminismus, dem Veganismus, dem Impf-Streit. Ich bin für den Austausch von Argumenten, für eine gepflegte Protestkultur, aber gegen Hyperventilieren bei Themen, die dieses Wirbels nicht wert sind und denen etwas Toleranz gut anstehen würde. Welche Themen das sind? Ich habe dazu meine eigene Meinung, andere mögen anderer Meinung sein – und schon ist die schönste Debatte da. Das kann man mögen oder nicht, aber es ist immer noch besser, als sich wie anno 1974 alles klaglos vorschreiben zu lassen.

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