Das Elend des Seniorenkaffees

Das mit dem Älterwerden ist so eine Sache. Niemand kommt drumherum, auch ich nicht. Was mir aber wirklich Angst macht: Seit meinem letzten Geburtstag sind es noch drei Jahre bis zum Seniorenkaffee. Ich will da nicht hin.

Jede Gemeinde, die etwas auf sich hält, ob politische Gemeinde oder Kirchengemeinde, lädt regelmäßig ihre „lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen“ ab 60 Jahre zum Seniorenkaffee ein. Beginn ist stets um 15 oder 16 Uhr, eine Zeit, in der Berufstätige noch arbeiten. Das Programm lässt mich gruseln. Gesellschaftsspiele, Erinnerungen an die alte Heimat (wahlweise Ostpreußen, Pommern oder Schlesien), Vorlesestunden, und das alles mündet immer in eine gemütliche Kaffeetafel. Am Ende solcher Einladungen steht dann oft, dass ein Fahrdienst angefordert werden kann.

Was bitte soll ich da? Mit 60, also in knapp drei Jahren, stehe ich noch mitten im Berufsleben. Ich fahre selbst Auto, mache meinen Job, habe noch sechseinhalb Jahre bis zur Rente, fröne meinem Hobby, dem Reiten, lebe also so wie mit 30, 40 oder 50. Meine Interessen sind Geschichte, Politik, Reisen, klassische Musik, Lesen, gute Gespräche. Meine Eltern waren noch Kinder, als der Zweite Weltkrieg vorbei war, ich habe keine „Alte Heimat“. Das wird auch nicht anders sein, wenn ich noch zehn Jahre älter und tatsächlich in Rente bin.

Bis ich zum Seniorenkaffee gehe würde, müssen die Gemeinden diese Veranstaltung grundlegend verändern. Ich habe den Eindruck, sie ziehen ihr Programm seit Jahrzehnten immer nach dem gleichen Schema durch. Kein Blick für die Zielgruppe. Natürlich sind Teilnehmer jenseits der 80 dabei, die das Programm noch anspricht. Aber die meisten der sogenannten Senioren ab 60 können mit dem Programm eher wenig anfangen. Mick Jagger ist 74, und viele seiner Fans sind es auch. 60-Jährige fahren Harley Davidson, modeln oder sind begnadete Hobbyfotografen. Die lockt niemand mit Kaffeeklatsch und Gesellschaftsspielen hinter dem Ofen hervor. Und schon gar nicht mit einem Alleinunterhalter, der „Tulpen aus Amsterdam“ singt. Zum Glück gibt es hier und da Gegenbeispiele: Geocaching für Senioren oder Senioren-Internetcafés. Aber ganz ehrlich: Unterweisung im Umgang mit einem Computer brauche ich nicht, so wie wahrscheinlich die allermeisten meiner Altersgruppe.

Wenn ich von mir auf andere schließen darf, merken die meisten von uns Über-50-Jährigen im Alltag gar nicht, dass jedes Jahr ein Jährchen Lebensalter hinzukommt. Nur im Verhältnis zu anderen Menschen wird uns manchmal bewusst, dass wir schon wieder ein bisschen älter geworden sind. Immer dann, wenn Vertreter von Berufsgruppen schon immer älter waren als wir. Politiker etwa. Als Teenager waren sie für mich alle alte Männer, genauer: uralte Männer. Heute liegt das Durchschnittsalter deutscher Politiker nur ein, zwei oder drei Jährchen über meinem Alter, bei der FDP und den Grünen sogar darunter. Ähnlich ist es beim Elternabend in der Schule. Die junge Frau da vorne soll wirklich eine Lehrerin sein?

Mitunter frage ich mich, ob ich solche Jungspunde wirklich ernst nehmen soll. Dann rufe ich mich innerlich zur Ordnung und überlege mir, wie ich mich gefühlt hätte, hätte man mir mit Mitte 30 mangels Lebensalter die Kompetenz abgesprochen. Alles ist also eine Frage der Perspektive.

Aber warum ist die Frage des Alters, egal aus welcher Perspektive, so wichtig. Petra von Cronenburg hat in einem lesenswerten Blogartikel gefordert: „Lass mich mit meinem Alter in Ruh“. Recht hat sie: Lasst uns Menschen doch einfach so sein, wie wir sind, egal wie alt oder jung, und vor allem: Schickt mir keine Einladung zum Seniorenkaffee. Meinen Kaffee koche ich mir lieber selbst, und Leute zum Reden und geistige Nahrung muss ich mir nicht servieren lassen. Aber in 20 Jahren komme ich gerne – vorausgesetzt, es singt niemand „Tulpen aus Amsterdam“.

Merken

Merken

Merken

Merken

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert