Bonuseltern – Ein Malus für den Leser

In Zeiten, in denen Worte beinahe wichtiger sind als das, was dahinter steckt, stößt man immer wieder auf neue Bezeichnungen. Das geht aber oft auf Kosten der Verständlichkeit.

Kürzlich las ich in einer Pressemitteilung einer Selbsthilfegruppe über „von ihren Kindern getrennte Mütter, Väter, Bonuseltern, Großeltern und Angehörige“. Was bitte sind Bonuseltern? Ich hatte das Wort noch nie gehört.

Aufklärung verspricht in solchen Fällen Twitter.

Es gibt übrigens auch noch die Plusmama.

Mehr Aufklärung gab mir Bloggerfreund Henning Wüst, der im schwedischen Lappland lebt. Er schrieb:

„Bonusbarn“ (Bonuskinder) und „Bonusföräldrar“ (Bonuseltern) sind in Schweden gebräuchliche Begriffe um die Verhältnisse in einer „Patchworkfamilie“ (hier äußerst üblich) zu bezeichnen.

Die Bonuskinder sind die zur Patchworkfamilie gehörenden Kinder eines Partners aus früheren Beziehungen. Im Spiegelbild sind die Bonuseltern die Partner, die sich mit der leiblichen Mutter oder dem leiblichen Vater derzeit in einer Beziehung befinden.

Das führt mitunter zu ziemlich komplizierten Konstellationen. Beispiel aus der Nachbarschaft: Mann und Frau mit sieben Kindern im Haushalt. Fünf von mütterlicher Seite aus, insgesamt drei früheren Beziehungen, zwei väterlicherseits aus zwei früheren Beziehungen und zwei Kinder aus der aktuellen Beziehung. In Schweden ist es üblich, dass die Kinder nach einer Trennung im wochenweisen Wechsel bei einem Elternteil leben. Mal abgesehen von der extremen logistischen Herausforderung, das zu organisieren, wird deutlich: Es gibt jede Menge Bonuseltern und Bonuskinder aus Sicht der jeweils aktuellen Beziehung (denn der Blick muss ja auf die jeweils neuen Partner von der getrennt lebenden Mutter / dem Vater erweitert werden.

Auch anderswo in Skandinavien ist das Wort offenbar gut bekannt.

So weit, so klar. Doch hierzulande ist das Wort „Bonuseltern alles andere als gängig. Wie oft in solchen Fällen habe ich kurz mal in meinem Umfeld gefragt, wer damit etwas anfangen kann. Von etwa 30 Befragten kannte nicht einer das Wort, ebenso konnte sich niemand vorstellen, was damit gemeint ist. Auf Stiefeltern ist niemand gekommen. Und auch bei Twitter gab es erst eine falsche Vermutung.

Was also tun, um positiv neue Wörter bekannt zu machen? Sie einfach zu schreiben, bringt nichts, wenn niemand weiß, was gemeint ist. Das kann auch nicht im Sinne der Selbsthilfegruppe sein, die für ihre Ziele wirbt. Und deshalb ist es auch keine Option für Texte in den Medien. Nichts ist schlimmer, als den Leser ratlos zu lassen oder unverständlich zu schreiben.

Als Alternative sehe ich nur, eine lange Zeit beide Wörter zu schreiben. In diesem Falle also „Stiefeltern (besser: Bonuseltern)“. Anders lassen sich neue Bezeichnungen meiner Meinung nach nicht einführen.

Merken

Merken

Merken

Merken

2 Kommentare

  1. Sprache ändert sich laufend. Neue Wörter kommen, manche bleiben, manche gehen. Jene, die bleiben, haben nicht selten etwas mit ihrer Triftigkeit zu tun (z.B. Handy). Oft werden sie aber auch ob ihres vermeintlichen Prestiges verwendet, obwohl es eine deutsche Entsprechung gibt (newsletter Rundschreiben, Mitteilungen). Ein Journalist der TAZ schrieb neulich: „Es hätte so schön werden können mit den Gabriel-Scoops von „Stern“ und „Zeit“.“ „Scoop“ statt „Sensationsbericht“. Verstehen werden das 90% der Leserschaft eher nicht. Aber ist ja auch egal, wenn man sich damit wichtig machen oder sich „cool“ geben kann.

    Dergleichen wird meiner Erfahrung nach nicht nur geduldet, sondern findet oft unausgesprochene Anerkennung, während als „Grammar Nazi“ (wieder so ein Anglizismus) hingestellt wird, wer auf die Verwendung deutscher Entsprechungen besteht. Aber wehe, man wagt es, Fremdwörter zu verwenden. Dann ist man arrogant und ein Hüter von Herrschaftswissen.

    Bonus-XY klingt harmlos, „evoziert“ (Vorsicht, Fremdwort) ein positives Bild. Mag sein. Vielleicht setzt sich das Wort ja durch (so wie Helikopter-Eltern) und wird zum Begriff. Das lässt sich nicht steuern, jedenfalls nicht in einer Gesellschaft, die glaubt, auf Hygiene im mündlichen und schriftlichen Ausdruck verzichten zu können. Wer für alles offen ist, der ist bekanntlich nicht dicht. Dem riecht fast jede zerebrale Flatulenz gut, zumal wenn sie – gefühlt – dem eigenen Hirn entwichen ist.

    1. Liebe Atalaya,
      für mich steht bei all diesen Diskussionen die Verständlichkeit im Vordergrund. Was soll ich mit einem Wort, das niemand oder nur sehr wenige verstehen. Bei den Helikopter-Eltern erschließt sich sofort, was damit gemeint ist, selbst wenn man das Wort noch nie gehört hat. Bei den Bonuseltern ist das ganz anders, wie meine kleine Umfrage gezeigt hat.
      Diese Unverständlichkeit zeichnet viele Worte aus, die dazu bestimmt sind, ein gewisses negatives Image zu beseitigen. Schade, denn damit wird das, was die Erfinder oder Nutzer dieser Worte erreichen wollen, unterlaufen.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert