Glaubt man der Polizei, lässt sich der Zeitpunkt von Unfällen stets ungefähr auf genau eine bestimmte Minute festlegen. Ungefähr – genau? Ganz genau. Die typische Polizeimeldung lautet: „Zum Unfallzeitpunkt gegen 10.45 Uhr . . . “ oder auch „Gegen 21.43 Uhr ereignete sich auf der Sowiesostraße ein schwerer Verkehrsunfall.“ Hinter dem Durcheinander von ungefähr und genau steckt ein typischer Ablauf, der aber offenbar von den Polizeipressestellen – von Ausnahmen abgesehen – nicht erkannt oder nicht klar formuliert wird.
Ich selbst bearbeite seit Jahren Pressemeldungen der Polizei. Auf das Paradoxon in den gängigen Formulierungen hat mich aber erst jemand mit der Nase stoßen müssen.
So circa, also ganz, ganz grob gegen 21:43 Uhr muss das gewesen sein.90 Sekunden vor Viertelvor, sozusagen. https://t.co/pDIICBmgrH @Pyrolim
— Stephan Dirks (@radirks) 12. August 2016
Stellen wir uns mal vor, zwei Autos stoßen auf einer Straße zusammen. Entweder es fährt jemand hinter einem von ihnen oder hinter beiden her und beobachtet, was passiert. Oder ein anderer Autofahrer kommt kurz drauf dazu. Dann passiert das, was wir alle in der Fahrschule gelernt haben und was wir noch wissen müssten. Die Rettungskette setzt sich in Gang:
- Unfallstelle absichern
- Notruf wählen
- Erste Hilfe leisten
- Rettungsdienst trifft ein
- Krankenhaus
Läuft alles nach Plan und Lehrbuch, klingelt also ein paar Minuten nach dem Unfall beim Rettungsdienst (112) das Telefon, der seinerseits die Polizei informiert. Oder aber der Anrufer wählt die 110 und der Notruf erreicht die Polizei. Wie auch immer es abläuft, zu einem bestimmten Zeitpunkt ist die Einsatzleitstelle der Polizei informiert. Dieser Anruf wird wie alle anderen dokumentiert, also aufgezeichnet. In unserem Beispiel ist nunmehr aktenkundig, dass der Notruf um 21.43 Uhr einging.
Mit dieser Information geht der Pressesprecher später daran, seine Meldung an die Medien zu formulieren. Er schreibt: „Gegen 21.43 Uhr ereignete sich auf der Sowiesostraße ein schwerer Verkehrsunfall.“
Und wir Journalisten fallen seit Jahren darauf herein und übernehmen genau diese Formulierungen, obwohl wir es besser wissen müssen.
Dass es auch anders geht, beweist die Polizei Bochum. Sie teilte gestern mit: „Heute Mittag (12.8.), gegen 11.55 Uhr, erhielt die Polizei Kenntnis von einem Unfall auf dem Gelände der Cranger Kirmes.“ Gut, das Wörtchen „gegen“ hätte sich der Autor der Pressemitteilung an dieser Stelle sparen können. Aber sonst hat er die Sache mit der Minutengenauigkeit blendend erfasst.
„….erhielt die Polizei Kenntnis von einem Unfall“
Aha, und dann kommt doch bissig der Kommentar, dass wir zu „behördlich“ in unserem behördendeutsch schreiben :-)
Hat ja keiner gesagt, dass das grandioses Deutsch sei. Aber zumindest ist es sachlich richtig.