Zeitungstexte für alle: Kein queer und kein trans*

Wir schreiben für den dümmsten Leser. So lautet das Credo in vielen Zeitungsredaktionen. Das bedeutet nicht, dass wir Journalisten die Leser verachten. Es erinnert uns nur daran, immer so zu schreiben, dass es wirklich jeder versteht. Dass wir dabei denen, über die wir schreiben, auf die Füße treten müssen, lässt sich nicht vermeiden. Denn wir lassen uns im Interesse unserer Leser nicht verbiegen, auch nicht um einer vermeintlich oder guten Sache willen.

Anlass für diese Feststellung ist eine Pressemitteilung aus jüngster Zeit. Sie weist darauf hin, dass es jetzt an einem bestimmten Ort Jugendgruppen „für die Belange lesbischer, schwuler, bisexueller, trans* und queerer Jugendlicher und junger Erwachsener“ gibt. Ein Satz, den so kein Journalist druckt. Nicht, weil er irgendeinen dieser Menschen diskriminieren will. Sondern weil 95 Prozent der Leser, wenn nicht sogar mehr, zumindest mit den Wörtern trans* und queer gar nichts anfangen können. Sie würden an Tippfehler denken. Und nun komme bitte niemand und sage, wir Journalisten könnten diese Ahnungslosigkeit damit beheben, dass wir diese Ausdrücke verwenden und erklären. Und das auch noch möglichst häufig.

Nein, tun wir nicht. Aus verschiedenen Gründen. Platz ist Mangelware in der Zeitung, viele andere wollen ebenfalls Angebote oder Veranstaltungen angekündigt haben. Vor allem aber: Es ist nicht unsere Aufgabe, neuen Wörtern und Schreibweisen zum Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch zu verhelfen. Es ist andersherum: Erst wenn Wörter im allgemeinen Sprachgebrauch verankert sind, stehen sie in der Zeitung. Gerade am Beispiel des Wortes „queer“ zeigt sich übrigens noch eine andere Schwierigkeit, die den Hörfunk betrifft. Wie soll ein Sprecher den Unterschied zwischen „quer“ und „queer“ hörbar machen?

Aufgabe von uns Journalisten ist es, solche Texte in Texte zu verwandeln, die jeder verstehen kann. Auch derjenige, der noch nie im Leben etwas von dem Thema des Artikels gehört hat. Zugegeben, verquere Formulierungen aus der Gender-Sprache sind in Pressemitteilungen oder Statements die absolute Ausnahme. Viel öfter müssen wir in den Redaktionen Fachchinesisch in vernünftiges Deutsch übersetzen. Ob Destination (Tourismusbranche), kommunales Benchmarking (Verwaltung) oder Erwerbspersonenpotenzial und Erwerbspartizipation (Arbeitsagentur): Der Übersetzungsbedarf ist riesig. Und niemand entgeht ihm oder kann darauf beharren, seine Wortwahl sei so richtig, dass sie die Redaktion übernehmen müsse. Denn merke: Wir schreiben nicht nur für den dümmsten Leser, sondern für alle Leser. Von denen niemand alle Fachbegriffe aller Branchen kennen kann.

11 Kommentare

    1. Stimmt, trans* ist im eigentlichen Sinne kein Wort, sondern ein Kunstwort.

      Damit werden verschiedene Bezeichnungen und Richtungen bzw. Sichtweisen der Thematik Transsexualität zusammengefasst, wie z.B. Transsexualität, Transgender, Transvestitismus und weitere.

      Es wird dann besonders verwendet, wenn man niemanden ausschließen möchte.

    1. Ja, ich bin hier wohl dem Irrtum aufgesessen, quer spreche sich wie queer aus. Das ändert aber nichts daran, dass das Wort für die Mehrheit der Menschen unverständlich ist – egal ob deutsch oder englisch ausgesprochen. Und was „trans*“ angeht, mag das kein Wort sein, aber es sollte laut der Pressemitteilung so im Blatt stehen, als Wort.

      1. Wenn neue Wörter vorgelesen werden schleichen sich auch manchmal Fehler ein.
        ~Blumentopferde
        Blumento-pferde
        Blumen-topf-erde
        Nur so als abstraktes Beispiel.

  1. Hallo Susanne,

    ich verstehe die Problematik, aber auch wenn das jetzt polemisch klingen mag: wer soll denn sonst damit anfangen?

    Wie soll die Öffentlichkeit eine Chance bekommen, an neue Begriffe zu kommen, wenn nicht durch die Presse? Ihr leistet harte Arbeit, das ist mal klar und natürlich kann nicht jeder Begriff verwendet werden.

    Gerade in den Bereichen von „alternative Lebensformen“ gibt es unzählige Begriffe, aber sollte es nicht zur Allgemeinbildung gehören, zumindest die häufigsten auch mal öffentlich zu nennen – gerade damit sie sich auch verankern können?

    Denn das ist eine selbst erfüllende Prophezeiung: Keiner kennt es, also wird es nicht verwendet, also bleibt es weiterhin unbekannt und wird weiter nicht verwendet.

    Mit dieser Art Argumentation dürfte in Zeitungen niemals über neue Dinge berichtet werden und ich dachte bislang, das sei einer der Hauptinhalte …

    Noch als Anmerkung: Gerade in der Gender-Sprache sind Nuancen entscheidend. Da eine „Übersetzung“ ohne sehr genaue Kenntnisse fehl schlägt, ist diese Praxis vielleicht nicht die letzte Wahrheit. Und wie leser-orientiert ist es, falsche Informationen zu verbreiten?
    Klar, das macht es nicht einfacher. Aber diese Begriffe haben sich (in der Szene) über einen langen Zeitraum etabliert und werden/wurden zum Teil heftigst diskutiert.

    Da Du den Hörfunk explizit ansprichst: da „quer“ und „queer“ eigentlich unterschiedlich ausgesprochen werden (einmal deutsch, einmal englisch wie z.B. in „queer as folk“), wäre eine Unterscheidung sehr einfach.
    Ich stimme zu, bei der schriftlichen Variante kann es zu Irritationen kommen.

    Viele Grüße
    Tim

  2. Hallo Tim,
    vielen Dank für Deinen ausgewogenen und guten Kommentar.
    Natürlich kommt die Öffentlichkeit auch über die Presse an neue Begriffe, wenn es etwas Neues zu bezeichnen gibt. Die Frage bleibt, ab welcher Verbreitung solche neuen Begriffe verwendet werden sollen. Ein schönes Beispiel ist Inklusion, ein Begriff, der in den vergangenen Jahren eine beispiellose Karriere gemacht hat und der mittlerweile in Presseorganen überall auftaucht. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass 80 Prozent der Leser den Unterschied nicht kennen und denken, Inklusion sei nur ein neues, modischeres Wort für Integration. Deshalb müsste man eigentlich Inklusion jedes Mal erklären, was aber nicht machbar ist.
    Egal wie man es dreht und wendet, selbst wenn Begriffe einer breiteren Mehrheit geläufig sind, bedürfen sie immer noch und auf lange Zeit einer Übersetzung für diejenigen, die sie nicht kennen. Deine Besorgnis hinsichtlich nicht genauer Erklärung oder Übertragung ist damit nicht ausgeräumt.
    Insgesamt bleibt für uns die Pflicht, verständlich für möglichst alle Leser zu schreiben. Deshalb haben ich im Fall der oben zitierten Pressemeldung diese Formulierung gewählt: „Der Verein setzt sich Jugendliche und junge Erwachsene ein, die lesbisch, schwul, bisexuell oder anders alternativ sexuell orientiert sind.“ Nicht ideal, aber zumindest verständlich.

    1. Hallo Susanne,

      vielen Dank für Deine Antwort.

      Nicht umsonst heißt es „Bevor ihr euch streitet, klärt die Begriffe.“ ;-)
      Keine Sorge, ich will nicht streiten … Aber Sprachlosigkeit kann gefährlich sein.
      Es kann sehr beruhigend sein, endlich einen Begriff für sich selber gefunden zu haben – dass diesen Begriff dann keiner kennt, und in jedem Gespräch erklärt werden muss, ist dann leider Fakt.

      Was die Pressemitteilung angeht, verstehe ich Dein Bemühen gut.
      Da mir ähnliche Ankündigungen bekannt sind, kann ich aber sagen, dass bei Deiner Formulierung leider ein häufig auftretendes Missverständnis zum Tragen gekommen ist. Wenn ich erklären darf:

      „lesbisch, schwul und bisexuell“ kennzeichnen die sexuelle Orientierung, beantworten also die Frage „von welchem Typ Mensch fühle ich mich angezogen?“.

      „trans*“ hat aber nichts mit der sexuelle Orientierung zu tun. Hier geht es nur um die Frage „wer bin ich?“. Also: Frau, Mann oder etwas dazwischen oder darüber hinaus?
      Ein trans*-Mensch ist zusätzlich hetero, lesbisch, schwul oder bisexuell, etc.

      In der Praxis kann es nun so laufen:
      Wenn ein trans*-Jugendlicher diese Ankündigung liest, wird sie/ er diese nicht auf sich beziehen und weg bleiben. Die Ankündigung betrifft sie/ihn ja offensichtlich nicht oder nur dann, wenn sie/er zusätzlich lesbisch, schwul oder bi wäre.
      Da die meisten trans*-Jugendlichen aber mit trans* genug gefordert sind, ist die Partnersuche ohnehin oft erst dann ein Thema, wenn die ersten Maßnahmen zur Angleichung schon eingeleitet wurden. Es gibt genug trans*-Menschen, die erst nach der ersten OP überhaupt die ersten Schritte für eine Partnersuche umsetzen.

      „queer“ ist in der Tat schwierig, weil es vom Zusammenhang abhängen kann, in dem der Begriff verwendet wird. Grundsätzlich geht es aber in die Richtung „für alle zutreffend, die nicht hetero sind oder den gewöhnlichen Normen entsprechen“.

      Um die Verwirrung komplett zu machen (Exkurs): bei der sexuellen Orientierung fehlt noch der Begriff „pan“ oder „pansexuell“, der praktisch soviel wie „alle“ bedeutet.
      Sprich: ich bin Mensch und stehe auf Menschen (egal ob Frau, Mann oder etwas dazwischen oder darüber hinaus) und wird vorwiegend verwendet, um Menschen nicht mehr in Schubladen zu stecken. Dies aber bitte nicht mit bisexuell oder Polyamory verwechseln ;-)
      Aber dieser Begriff wird von noch weniger Menschen verwendet und verstanden …

      Soviel erstmal dazu, bei Fragen bitte einfach melden.

      1. Lieber Tim,
        Was trans* angeht, hast Du mich überzeugt. Ich werde die PM dahingehend noch einmal überarbeiten.
        So viel in Kürze, demnächst antworte ich Dir ausführlicher.
        LG, Susanne

  3. Hallo Tim,
    jetzt noch mal ausführlich, weil es sich auf dem Handy doch nicht so gut tippt:
    Du hast mich überzeugt, was das Thema Transsexualität betrifft. Dast ist tatsächlich nicht abgedeckt, wenn von lesbisch, schwul oder bi die Rede ist. Insofern hast Du Recht, dass sich von Transsexualität betroffene – betroffen ist auch so ein blödes Wort – Jugendliche oder junge Menschen ausgeschlossen fühlen könnten. Deshalb werde ich diese Gruppe in dem Artikel noch extra erwähnen. Allerdings bleibt es dabei, dass ich weder den Begriff trans* noch queer schreiben werde. Warum, habe ich ja ausführlich dargelegt.
    Was pan betrifft: Das gibt’s im allgemeinen Sprachgebrauch nun wirklich nur in Zusammenhang mit der Panflöte oder dem Gott Pan.
    Liebe Grüße,
    Susanne

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