Wo bleibt das digitale Gedächtnis unseres Lebens?

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Ich habe gerade einen Roman mit Rückblenden gelesen. Kriminalfall von heute hängt mit Familienfehde von 1914 zusammen. Am Ende kommen die Ermittler über Tagebücher von damals auf die Spur des Täters. Gleiche Geschichte im Jahr 2114: Der Kommissar kommt mit Hilfe einer alten Festplatte der Familienfehde von 2014 auf die Spur und löst den Fall. Denkbar? Vielleicht. Vielleicht kann dann aber auch niemand mehr eine Festplatte lesen, ihre Daten entschlüsseln. Wo bleibt unser digital gespeichertes Gedächtnis?

CDs, sagt man, haben eine Haltbarkeit von etwa zehn Jahren. Deshalb habe ich alle auf CD gebrannten Fotos mittlerweile auf Festplatten übertragen. Die aber auch nicht unbegrenzt haltbar sind. Die letzten Fotoalben in meinem Schrank sind aus dem Jahr 2000, eine Kiste voller Abzüge habe ich noch aus späterer Zeit. Aber die große Menge an Fotos ist nur noch digital vorhanden. Wie lange noch?

Gesammelte Briefe von großen Geistern werden als Bücher herausgegeben oder sind Grundlage für wichtige Forschungen. Briefe sind Lebenszeugnisse, wie sie direkter nicht sein können. Aber wer wertet die E-Mails heutiger Intellektueller in 50, 60, 100 Jahren aus? Wo sind diese E-Mails dann? Längst im virtuellen Papierkorb geschreddert und für immer gelöscht? Und haben wir in ein oder zwei Generationen überhaupt noch Festplatten? Wer hält sich heutzutage für so wichtig, dass er seine elektronische Kommunikation ausdruckt und für künftige Forschergenerationen abheftet? Oder andersherum gefragt: Dürfen Politiker, Schriftsteller, Denker keine E-Mails schreiben, damit Gedankenaustausch und Briefwechsel für später erhalten bleiben?

Angesichts aller dieser Frage fürchte ich manchmal, dass diese und kommende Generationen ohne Gedächtnis bleiben werden. Wir wissen nicht, welches Trägermedium in Zukunft genutzt wird und ob es unseren CDs oder Festplatten so ergeht wie den Disketten. Speichermedien auf Zeit, die schneller wieder verschwunden sind als sie sich überall durchgesetzt haben. Wie lässt sich damit später noch Quellenforschung betreiben? Bleiben Nachrichten, Chroniken, Selbstzeugnisse in Zukunft noch greifbar, wenn sie nicht auf Papier überliefert werden? Und wie sieht es mit der Quellenkritik aus? Lässt sich an digitalem Material immer feststellen, ob es echt ist, ob es später verändert wurde und wann ist etwas gestrichen oder hinzugefügt worden?

Ich bin keine Wissenschaftlerin. Aber gerade wenn ich Romane wie den oben genannten lese oder von als Buch herausgegebenen Briefwechseln oder Tagebüchern früherer Geistesgrößen höre, frage ich mich, ob es so etwas in Zukunft aus unserer Zeit noch geben wird? Schlauere Köpfe als ich werden sicher Antworten auf diese Fragen haben.

Ausführlich hat sich bereits das Wissenschaftsmagazin Spektrum in diesem Beitrag dem Problem gewidmet.

3 Kommentare

  1. Nunja ich glaube kaum, dass die meisten emails in der Zukunft noch lesenswert sind. Da werden doch nur oberflächliche Informationen ausgetauscht. So einen Müll braucht man in der Zukunft nicht.

    1. Sicher nicht bei mir und Dir, und das war ja auch etwas überspitzt formuliert. Aber für mich bleibt schon die Frage, wie Quellenstudium in 100 Jahren funktionieren soll, wenn immer weniger Schriftliches auf Papier festgehalten wird.

  2. Es sind nicht nur die E-Mails, sondern auch die interessanten Blogbeiträge, die irgendwann verschollen sein werden.
    Aber vielleicht tauchen bald die Vulkanier auf und bringen uns den Kristallspeicher :-)

    Aber ist gedrucktes nicht auch leicht vergänglich?
    Ich denke da an die verwaisten Werke.

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