Hier kommt die Presse

Ich bin nicht ich. Ich bin die von der Zeitung. Ich bin die Presse. Das höre ich jeden Tag. Seit über 30 Jahren. Noch ist meine Widerstandskraft groß genug, um mir selber sicher zu sein. Nein, ich bin nicht die Presse. Ich arbeite nur für die Presse. Ansonsten bin ich doch ich.

Eine Veranstaltung irgendwo im Land. Eine Parteiveranstaltung. Für Partei ließe sich problemlos Verein einsetzen, oder Podiumsdiskussion oder politische Veranstaltung oder Sitzung eines Lokal-, oder Regionalparlaments. Von mir aus auch ein Fußballspiel oder ein Basar oder eine Tanzvorführung. Egal. Allen gemeinsam ist, dass ein Reporter kommt und das Geschehen reportiert. Die meisten Versammlungs- und sonstigen Veranstaltungsleiter stellen an den Anfang eine lange Begrüßungslitanei, sortiert nach Bedeutung der Gäste. Am Ende kommt dann immer der berühmte Satz. „Außerdem begrüße ich die Presse.“ Aha. Ich bin aber nicht die Presse, ich drucke die Zeitung nicht, ich schreibe für sie. Und ich habe einen Namen. Aber abgesehen davon, dass der von den wenigsten Rednern unfallfrei über die Lippen gebracht wird, macht sich auch kaum jemand die Mühe, ihn sich zu merken. Genauso wenig wie den von Kollegen. „Die Presse“, wie einfach.

In diesen Situationen zitierte ich gerne eine von mir sehr geschätzte Fotografen-Kollegin. Auf den Satz „Ah, da kommt die Presse“ antwortete sie immer: „Ich bin nicht die Presse, ich arbeite da nur.“ Recht hat sie. Ich arbeite da auch nur. Zwar gerne, aber ich habe auch einen Vor- und einen Nachnamen und möchte doch gerne damit angesprochen werden. Das kann doch nicht so schwer sein.

„Da kommt die Presse“ darf übrigens nur eine Berufsgruppe ungestraft sagen. Die Bauern im Angesicht der auf dem Acker eintreffenden Strohpresse.

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