Die Leiden einer Lokalreporterin

„Dem Redakteur ist nichts zu schwör“ lautet ein geflügeltes Wort in Journalistenkreisen. Das nehme ich auch für mich in Anspruch. Ich bin hart im Nehmen, und wenn es sein muss, akzeptiere ich klaglos alle Arbeitsbedingungen, die das Journalistenleben so bietet. Aber es gibt Tage, da summiert sich alles, was die Berichterstattung erschwert. Eine Klage.

Ja, kampferprobte Schreiberlinge – so werden wir Journalisten gern mal tituliert – können in fast jeder Lebenslage mitschreiben, was gerade passiert oder gesagt wird. Bei Regen und Schnee – man greife in diesen Fällen zum Beistift -, im Stehen, bei Eiseskälte, zur Not sogar im Dunkeln. Alles kein Problem, wenn es sein muss. Wir stapfen mitunter durch knöcheltiefen Matsch, haben uns schon so manche soeben teuer erstandene Jacke entweder durch Stacheldraht-Risse (beim Durchklettern desselben) oder Brandlöcher (bei Größbränden mit Funkenflug) verderben und so manches Paar Schuhe völlig verdrecken lassen. Alles kein Problem, siehe oben: Dem Redakteur ist nichts . . .

Die Knie als Schreibtisch

Aber es gibt Dinge, über die ich zunehmend ungehaltener bin. Es sind Äußerlichkeiten. Gerade diese Woche habe ich über zwei Stunden in einer Ratssitzung gesessen. Im Gepäck Block und Stift, die Tagesordnung und vier Pfund Kommunalhaushalt. Die Herren und Damen Kommunalpolitiker saßen an einem U-förmig aufgestellten Tisch, vorne Bürgermeister und Verwaltung, rechts und links SPD und CDU und die Vertreter der kleinen Parteien. Für die Zuhörer waren zwei Reihen Stühle aufgestellt. Und für die Presse gab es keinen Tisch. Super. Zwei Stunden lang Block und Stift und Tagesordnung und Haushalt auf den Knien balancieren, dabei alles protokollieren. Ich bin zu alt für so etwas. Warum gönnt mir niemand einen Tisch, um zu schreiben? Zur Ehrenrettung so mancher Verwaltung muss ich allerdings sagen, dass Pressetische mittlerweile in vielen Gremien Einzug gehalten haben. Aber eben längst nicht in allen.

Im Tal der Ahnungslosen

Es gibt sogar noch viel Schlimmeres. Kommunalverwaltungen, die es bis heute nicht für nötig halten, den Journalisten die Sitzungsunterlagen zur Verfügung zu stellen. Zugegeben, diese Verwaltungen muss man wirklich mit der Lupe suchen, aber es gibt sie noch. Sollen die Schreiberlinge doch die Zahlen, die vorne runtergerattert werden, gefälligst mitschreiben. Das ist schließlich deren Job. Auf die Bitte, doch für Sitzungen ein Paket mit den nötigen Unterlagen zusammen zu stellen, bekommt man dann sogar zur Antwort: „Sie wollen wohl nicht so viel schreiben, was?“ Aber wehe, wehe, es steht am nächsten Tag etwas falsch in der Zeitung.

Es lebe Allris

Und dann, das muss hier zur Ehrenrettung gesagt werden, gibt es noch die überwiegende Mehrzahl der anderen Verwaltungen. Der guten. Die stellen nicht nur der Presse, sondern sogar den Bürgern Unterlagen zur Verfügung, gerne auch im Netz, wo in Bürgerinformationssystemen wie Allris alle Unterlagen nicht nur einsehbar, sondern sogar als selbst zusammengestellte PDF-Paket herunterzuladen und auszudrucken sind. Ihr seht also: Die Bandbreite zwischen Bürgernähe, Journalistenservice und Obrigkeitsgebaren ist riesig.

Tuscheln im Gericht

Ein ganz schweres Terrain für Journalisten sind Gerichtssäle. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe jahrelang am Landgericht Prozessberichterstattung gemacht. Und ich rede hier nicht von Inhalten, sondern von den äußeren Bedingungen. Ein Tisch zum Schreiben? Fehlanzeige. Die Journaille reiht sich auf den Zuhörerstühlen ein. Was die Sache aber überaus schwierig macht ist die Tatsache, dass die Zeugen allesamt mit dem Rücken zu den Zuhörern sitzen. Nun liegt es in der Natur der Sache, dass viele nichtprofessionelle Zeugen – professionelle sind zum Beispiel Polizeibeamte – eine Scheu haben, vor Gericht auszusagen. Also reden sie leise, nuscheln gerne auch mal in sich hinein. Verstehen? Glückssache. Zur Ehrenrettung der Justiz muss gesagt werden, dass es verständige Richter gibt, die auf Zeichen von den Pressebänken hin die Zeugen schon mal zu lauterem Reden auffordern. Vollends schwierig wird es im Gericht, wenn hinter einem eine Schulklasse sitzt. Nicht nur, dass die gerne ausdauernd mit ihren Rascheljacken rascheln. Da wird auch gern mal getuschelt oder ungeduldig auf dem Sitz herumgerutscht. Ich habe auch schon Schulklassen im Gericht erlebt, die ein inneres Pausenklingeln hatten. Wenn es in der Schule zur großen Pause klingelte, erhoben sich im Kilometer entfernten Gerichtssaal Lehrer und Schüler, um schwatzend und scharrend nach draußen zu drängen.

Hungern beim Pressegespräch

Zu den Geißeln eines Reporters gehört außerdem die Zeitgestaltung bei Pressekonferenzen. Na ja, besser Pressegesprächen, denn meistens ist es nur ein kleiner Kreis, der sich da einfindet. Zwei bis drei Kollegen, die zwei bis fünf Menschen gegenüber sitzen, die etwas zu sagen haben. Leute aus Verwaltungen tun das bevorzugt freitags um 12 Uhr – übrigens auch ein beliebter Termin für Feierstunden -, um sich anschließend ins Wochenende zu begeben. Noch mehr liebe ich Pressegespräche um 13 Uhr, gerne mit einer Tasse Kaffee und sechs Keksen für drei Journalisten. Rechnet man An- und Abfahrt mit, fällt das Mittagessen mal wieder komplett aus. Aber das soll ja gut für die Figur sein.

Folter im Sternerestaurant

Gern erzähle ich die Geschichte von dem Sternekoch, der mich vor Jahren einmal bat, um 12.30 Uhr zwecks Verkündigung seines neu verliehenen Sterns in sein Restaurant zu kommen. Als ich eintraf und gefragt wurde, ob ich etwas zu trinken wünsche, orderte ich das in solchen Fällen übliche Mineralwasser (wahlweise eine Tasse Kaffee). Bevor sie es brachte, räumte die Kellnerin den fein eingedeckten Tisch ab. Teller, Platzteller, allerlei Besteck, Gläser, Servietten, Kerzenhalter, alles schleppte sie weg. Dann erzählte mir Monsieur Spitzenkoch eineinhalb Stunden lang, was er so alles Leckeres kreiert, dass Austern, Kobe-Rind und französische Käsespezialitäten bei ihm am besten gehen, dass er gerne aus dieser und jener frischen Zutat dieses und jenes Gericht kreiere. Ein verschämter Blick auf die Armbanduhr verriet mir, dass die Verlagskantine bei meiner Rückkehr längst geschlossen sein würde. Schließlich entließ mich der Spitzenkoch mit den Worten, falls ich mal seine Küche probiere wolle, müsse ich nur anrufen. Das habe ich dann auch getan. Ich lege hier Wert auf die Feststellung, dass ich mich nicht einladen lassen wollte. Das habe ich auch deutlich gemacht. Dennoch kam die Antwort von Monsieur Spitzenkoch prompt. Leider, leider, leider seien alle Tische auf Monate hin ausgebucht. Danke, da gehe ich doch lieber zur Currywurstbude.

Kaffeekränzchen

Heiß von mir geliebt – Vorsicht: Ironie – sind auch Pressegespräche am Freitagnachmittag, möglichst weit weg von der Redaktion. Das machen Vereine und Verbände, weil dann alle Beteiligten  Feierabend haben und gern ein wenig bei einer Tasse Kaffee mit der Lokaljournaille plaudern und auf ihre wunderbaren Projekte verweisen. Nur der Reporter hat längst noch keinen Feierabend, denn der muss freitags zwei Ausgaben machen, die aktuelle und die Wochenendausgabe oder Montagsausgabe. Und jede Stunde, die man dann bei einem Pressegespräch hockt, muss man abends länger in der Redaktion sitzen und schreiben oder produzieren. Dann lümmeln sich die Gesprächspartner vom Nachmittag längst auf dem heimischen Sofa und gucken „Wer wird Millionär“. Klasse. Vor allem, wenn bei dem Termin nicht mehr rüber kommt, als eine Mitteilung, die genauso gut hätte gemailt werden können.

Dem Redakteur ist vieles doch zu schwör

Also, jetzt wisst Ihr es. Das Journalistenleben ist eines der schwersten. Und obendrein wird dann noch Häme über einem ausgegossen. In meinen jungen Jahren als freie Lokalredakteurin habe ich Anfang des Jahres jeden Freitagabend diverse Feuerwehr-Versammlungen abgeklappert (macht heute in Zeiten reduzierten Personals keine Redaktion mehr). Wenn ich bei Feuerwehr Nr. 4 oder 5 eintraf, wurde dort oft gerade das Essen aufgetragen. Dann war es besonders nett, wenn der Wehrführer ans Pult trat und über Mikrophon diese freundliche Begrüßung aussprach: „Wir begrüßen nun auch die Presse, die soeben pünktlich zum Essen eingetroffen ist.“ War aber gar nicht böse gemeint.

Der Witz

Da passt doch gut dieser Witz, den ich mal gehört habe – und bitte, bitte nicht böse sein, ich kann darüber lachen, weil ich weiß, dass er nicht stimmt. Das mag ganz früher mal so gewesen sein, aber auch der Journalismus ist inzwischen brav geworden.

Wenn die Presse kommt.

Die Tür geht auf, ein Mann kommt rein mit einer Kameratasche über der Schulter: Der Lokalredakteur ist da.

Die Tür geht auf, keiner kommt rein: DPA ist da.

Die Tür geht auf, zwei Leute kommen rein und fragen: Wo gibt es hier etwas zu essen und zu trinken? Das Radio ist da.

Die Tür geht auf, drei Leute kommen herein und fragen: Wo gibt’s hier zu fressen, wo etwas zu saufen, wo tanzen die Weiber auf dem Tisch? Das Fernsehen ist da.

Liebe Leute, dieser Ausbruch musste mal sein, denn wie gesagt, dem Redakteur wird manches doch zu schwör. Ganz ausgelassen habe ich diesmal die inhaltliche Diskussion, die in Fachkreisen über den Lokaljournalismus geführt wird.

Linktipps

Ausgelassen habe ich auch, wie Menschen auf das reagieren, was dann hinterher in der Zeitung steht. Da sind die Ansprüche sehr unterschiedlich. Einer, der sich darüber mal den Frust von der Seele geschrieben hat, ist der Reisswolf.

Den ganz normalen Wahnsinn eines Fotoreporters hat Franz Roth aufgeschrieben.

3 Kommentare

  1. ach ja… sehr gut ge/beschrieben! Auch dein ABC ;-) Trotz sicher vielerlebter Erfahrung kannst Du Dir aber vielleicht nicht vorstellen, wie beratungsresistent manche Menschen sind! Nun habe ich ja genügend eigene Erfahrung und weiß wie es läuft. Wenn ich dann z.B. vereinsintern oder manchem Kunden sage: komm, wir schicken/schreiben da schnell ’nen Text per mail hin, dazu muss niemand kommen… NEEIIIN: „ich“ (Kunde/Übungsleiter/Vorstand) habe doch sooo einen guten Draht zu den Medien, die wollen gerne kommen und mit mir persönlich reden… :)

    1. Liebe Gesa,
      danke für den netten Kommentar. Schön zu hören, dass auch auf der anderen Seite Leute arbeiten, die wissen, wie’s läuft. Leider kämpft man da oft gegen Windmühlenflügel. Da müssen wir dann halt durch.
      LG, Susanne

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