Blinder Fleck Zivilprozess

„Der blinde Fleck“, das Blog der „Initiative Nachrichtenaufklärung“, hat heute seine Top 10 der vergessenen Nachrichtenthemen vorgestellt. Auf Platz 5 liegen die „Vergessenen Zivilprozesse“. Aus jahrelanger Prozessberichterstattung weiß ich genau, warum die Justiz jenseits der Strafprozesse von den Medien links liegen gelassen wird. Es ist einfach kaum möglich, ihnen zu folgen, geschweige denn, über sie zu berichten. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.

Die Analyse vom Blog „Der blinde Fleck“ ist zutreffend.

Dabei kommen häufig die Verfahren an den Zivilgerichten zu kurz. Dort werden Fälle verhandelt, deren Inhalte und Urteile für viele Bürger relevant sind – so zum Beispiel eine langjährige Auseinandersetzung um eine Erwerbsminderungsrente mit umstrittenem Ergebnis.

Abgesehen davon, dass eine Auseinandersetzung um eine Erwerbsminderungsrente vor dem Sozialgericht verhandelt wird und damit kein klassischer Zivilprozess ist, trifft das Folgende auf alle Verfahren jenseits des Strafrechts zu, ob Zivil-, Arbeitsgerichts- oder Sozialgerichtsprozess, ebenso auf Rechtsstreite vor Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten. Die Prozesse werden von den Medien nicht vergessen. Sondern die Medien wissen gar nichts von ihnen.

Die Terminsliste im Strafprozess

Dass die Presse über Zivilverfahren informiert wird, ist die große Ausnahme. Anders bei den Strafprozessen. Die Staatsanwaltschaften geben jede Woche sogenannte „Terminslisten“ – man verzeihe das falsche Fugen-S, aber das heißt nun mal so – an die Medien heraus. Dort stehen alle Strafprozesse aufgelistet, sowohl bei den Amts- als auch bei den Landgerichten. Die Mitteilungen enthalten jeweils Angaben darüber, vor welcher Strafkammer oder welchem Einzelrichter verhandelt wird, welcher Staatsanwalt die Anklage vertritt, das Aktenzeichen und das Delikt. Und in besonders spektakulären Fällen folgen einige Erläuterungen zum Tatvorwurf. Ergänzt werden die Angaben noch durch die Fortsetzungstermine, falls es sie denn gibt. Redaktionen werten diese Listen jede Woche aus und besetzen die Termine. Im Fortgang des Prozesses hilft dann oft ein Anruf beim Vorsitzenden Richter oder beim Pressesprecher, um festzustellen, ob wichtige Zeugen gehört werden, wann plädiert oder geurteilt wird, ob es sich lohnt, einen Verhandlungstag zu verfolgen.

Rätselraten im Zivilprozess

Ganz anders im Zivilrecht. Dafür fühlt sich kaum eine Gerichtspressestelle verantwortlich. Oder die Pressestellen werden von den Kammern oder Richtern nicht informiert. Ohne Hintergrundinformationen lohnt es sich für die Presse nicht, ins Gericht zu gehen. Kein Journalist kann auf blauen Dunst in einen Zivilprozess marschieren und hoffen, dort ein gute Geschichte zu finden oder überhaupt zu verstehen, um was es geht. Zumeist wird hier nur auf Schriftsätze und Aktenzeichen verwiesen. Da versteht der Laie gar nichts.

Informationen über Zivilprozesse fließen spärlich bis gar nicht. Und das gilt nicht nur für die Termin-Information, sondern auch für den Inhalt. Nach meiner Erfahrung haben die Vorsitzenden Richter in den seltensten Fälle im Hinterkopf, dass die Sache für die Öffentlichkeit interessant sein könnte. Manchmal habe ich den Eindruck, manch Zivilrichter hat völlig ausgeblendet, dass es die Presse oder die Öffentlichkeit überhaupt gibt. Rühmliche Ausnahme sind die Richter, denen das nicht nur einfällt, sondern die dann sogar die Pressestelle oder einen ihnen bekannten Journalisten informieren. Das habe ich schon erlebt, und es waren immer interessante Geschichten, die dabei herauskamen. Wenn ein Richter einmal gut mit dieser Strategie fährt, ist er auch bei anderen interessanten Fällen bereit und willens, die Presse zu informieren oder über die Pressestelle informieren zu lassen. Ein Lob diesen Richtern. Es gibt sie, wenn auch viel zu selten.

Kläger reden

Wenn überhaupt über Zivilprozesse berichtet wird, sind es in der Regel zwei andere Beteiligte, die die Presse darüber informieren. Die Anwälte oder Kläger oder Beklagter, also die Prozessparteien. Anwälte wenden sich eher selten an die Presse, und dann oft nur hinterher, wenn ihrer Klage stattgegeben wurde. Ganz anders die Prozessparteien. So mancher Kläger oder Beklagte tritt von sich aus an die Presse heran und weist auf einen seiner Meinung nach wichtigen Rechtsstreit hin. Sache der Redaktion ist es dann, die Relevanz festzustellen. Im Zweifel gilt es: hingehen und sich selbst ein Bild machen. Das geht oft nur dann, wenn man in Hintergrundgesprächen vorher recherchiert hat, worum es geht. Sonst, siehe oben, hört man nur Verweise auf Schriftsätze und ist hinterher so schlau wie zuvor.

Hilflose Öffentlichkeit

Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist eine der Säulen einer fairen, gerechten und unabhängigen Justiz. Den Grundsatz mit Leben zu erfüllen, ist im alltäglichen Gerichtsbetrieb außerhalb der Strafprozesse oft mit so hohen Hürden verbunden, dass die Öffentlichkeit de facto uninformiert bleibt und ihren Überwachungsauftrag nicht ausüben kann. Die Schuld daran allein der Öffentlichkeit oder den Medien zuzuschieben, ist ungerecht. Meiner Meinung nach gibt es auch eine Bringschuld der Justiz, die nicht so eingelöst wird, dass die Öffentlichkeit an Zivilprozessen teilhaben kann. Die Zivilprozesse sind nicht vergessen, wie das Blog „Der blinde Fleck“ schreibt, sondern sie sind nicht wahrnehmbar.

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