Fremdschämen für den Bettina-Mob

Ich schäme mich. Ich leide unter extremem Fremdschämen, und der Anfall ist so heftig wie noch nie in meinem Leben. Was bilden sich die Leute eigentlich ein, die meinen, öffentlich jemanden anderen herabwürdigen, niedermachen, in Grund und Boden stampfen zu können? Wo bleibt der Anstand, wo das Mitgefühl für eine Frau, die nur ihren Namen und ihre Reputation schützen will? Warum können sich so viele Menschen nicht mehr einfühlen in die Gefühle anderer? Ich stehe fassungslos und angewidert vor dem Kübel Dreck, der im Internet über Bettina Wulff ausgeschüttet wird. Überlegt sich denn niemand von denen, die da schütten, wie er selbst sich in dieser Situation fühlen würde?

Es ist mir herzlich egal, was diese Frau getan oder nicht getan hat. Wie ihr Vorleben war oder ob sie eines hatte und wenn ja was für eines und überhaupt. Wer bitte ist Bettina Wulff? Spielt sie in meinem Leben irgendeine Rolle? Nein. Sie ist nichts anderes als die Ehefrau eines ehemaligen Bundespräsidenten. Die Zeiten, in denen Frauen nur über ihre Männer definiert wurden, sind doch wohl bitte schön längst vorbei. Frau Wulff hat ein eigenes Leben, und was sie macht oder nicht macht, getan hat oder nicht getan hat, geht uns alle absolut nichts an. Und wenn sie ein Buch schreibt oder schreiben lässt, so ist das ebenso ihre Sache. Dass sie möglicherweise versucht, es mit ihrem Kreuzzug gegen Google und Jauch zu vermarkten, kann ihr doch niemand wirklich übel nehmen. Solche Tricks haben auch schon andere versucht, und wer tut nicht alles, um seine eigenen Werke zu vermarkten. Jeder Blogger versucht, möglichst viele Besucher auf seine Seite zu ziehen, jeder Musiker, Autor, Filmemacher, sein Werk möglichst weit gestreut unters Volks zu bringen. Ist das ein Grund, so über einen Menschen herzuziehen? Nein!!! Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.

Abgesehen davon: Wie kann man nur so hämisch und bösartig sein, wie ich es heute an vielen Stellen im Netz gelesen habe. Wie kann es sein, dass Nutzer auf Amazon das Buch von Bettina Wulff mit so herabwürdigenden und bösartigen Schlagworten taggen, dass es einen vor Abscheu würgt? Warum moderiert Amazon diese Tags nicht, sondern lässt den Mob weiter toben? Vor allem aber: Können sich die Leute, die das getan haben, morgen früh noch im Spiegel ansehen? Kommt ihnen nie der Gedanke, dass sie sich widerlich verhalten haben.

Nach den Tiraden des heutigen Tages muss sich niemand wundern, wenn wieder über das schlimme Internet hergezogen wird. Die Hämischen, Niederträchtigen, Bösartigen geben denen Futter, die im Netz den Teufel sehen, den es zu bändigen, besser noch endgültig zu massakrieren gilt. Die Sudeltiraden über die Ex-Präsidentengattin deskreditieren das Netz und spielen denen in die Hände, die schon immer das Schlimmste darin vermutet haben. Danke, dass ihr da draußen in den Online-Weiten das heute so eindrucksvoll  bestätigt habt. Die „Das-Internet-soll-wieder-weggehen“-Fraktion wird euch auf Händen tragen.

Aus der Seele spricht mir Susanne Westphal mit diesem Beitrag.

Lesenswert: „Die Ehre der Bettina Wulff“ von Alice Schwarzer.

9 Kommentare

  1. In vielen Punkten Zustimmung, aber nicht in allen.

    Zum einen sieht es schon sehr verdächtig nach einer PR-Kampagne der PR-Frau Wulff aus, die gezielt Medien und eben auch Soziale Netzwerke, Blogger & Co für Publicity zum neuen Buch instrumentalisiert. Das Timing jedenfalls, daß jetzt das Buch erscheint und direkt vorher gegen Jauch und Google vorgegangen wird, wird wohl kaum Zufall sein — ebensowenig wie der lancierte Hinweis, daß sich ein ganzes Kapitel des Buches mit der angeblichen Vorgeschichte beschäftigt.

    Zum anderen finde ich es problematisch, Amazon, Google & Co hinsichtlich von Auto-Suggest und anderen Vorschlagslisten zensieren zu wollen. Denn diese stellen ja keine Tatsachenbehauptungen auf, sondern spiegeln und geben wertfrei nur wider, was andere suchen oder welche Kontexte andere herstellen. Ich möchte gar nicht ahnen, welches Faß hier aufgemacht würde. Letztlich müßte entsprechende Funktionalität wohl überall deaktiviert werden.

    1. Einspruch angenommen. Zensur geht gar nicht, bleibt aber die Frage, ob Tags auch unter dieses Zensurverbot fallen (müssen). Wie auch immer: Letzlich fällt der Schmutz auf die zurück, die ihn ausschütten, was die Betroffenen im Moment auch nicht tröstet.

      1. Mich stört auch eher, daß häufig Dinge als Netzphänomen interpretiert werden (oder zumindest wird das in vielen Diskussionen suggeriert), die leider auch analog menschlich immer schon so waren (Stichwort: Stammtisch), nun aber eben sichtbareren Niederschlag finden. Vielleicht ist es gar nicht immer so tragisch, daß man heutzutage eben eher erfährt, was die Menge denkt. Wäre eine ausführlichere Diskussion wert (ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit einem hochrangigen Journalisten einer großen deutschen Tageszeitung, der erschrocken über die Kommentare zu Artikeln war und sich über das böse Netz beschwerte; dem habe ich dann mal erklärt, was man sich als Parteisoldat schon immer an Informationsständen auf dem Wochenmarkt anhören mußte; das glaubte der nicht mal, erschreckende Entkopplung von der Basis).

        1. Hallo Stecki,
          na klar sind das alles letztlich Stammtischparolen, nur dass die Kneipe, in der der Stammtisch steht, unendlich groß geworden ist, so dass jeder mithören oder mitlesen kann. Früher wurde natürlich genauso gehetzt und Häme ausgegossen, und dass sich wahlkämpfende Politiker am Infostand so einiges anhören müssen, kann ich mir auch vorstellen. Das Neue ist nur die enorme Reichweite und dass jeder, der im Netz unterwegs ist, die Stammtischsprüche geballt von allen Seiten zu lesen bekommt. Was bleibt ist der Kern: So redet man nicht über Menschen!

  2. Vielen Dank für diesen Beitrag, dem ich nur zustimmen kann.

    Was den Hinweis bezüglich des ‚Timings‘ betrifft: Ja, ich denke auch, dass es einen Zusammenhang zwischen den Klagen und dem Erscheinen des Buches gibt, nur gerade anders herum als der Vorkommentator meint – die ersten juristischen Schritte von Frau Wulff liegen nämlich schon Monate zurück. Sie hätte ihr Buch wohl kaum veröffentlichen können, ohne zuvor gegen die ‚Rotlicht‘-Gerüchte vorzugehen.

    1. Lieber Morgenländer,
      die vielleicht gewollte Verbindung zwischen Buch und juristischem Angehen gegen Google und andere ist das eine. Das kann man so oder so sehen, und jeder muss wissen, was er tut. Was meiner Meinung nach aber gar nicht geht ist, andere dermaßen mit Dreck und Häme zu bewerfen, wie es in diesen Tagen im Netz geschieht. Ich kann nicht nachvollziehen, wie Menschen so niederträchtig sein können, deshalb mein obiger Ausbruch.
      LG, Susanne

  3. Wenn du wirklich nicht an der Person Frau Wulff interessiert bist, wie du in deinem Artikel schreibst, warum schreibst du dann überhaupt über sie? Kann ja sein, dass du einfach gegen Cyber-Mobbing bist, aber dann nimm doch lieber ein Thema, wo es darum geht wie Schüler via Internet gemobbt werden und sich dadurch in den Tod stürzen. Ganz ehrlich, ich bin auch der MEinung, dass das eine PR-Kampagne ist…bis vor kurzem hat das Leben der Bettina Wullf nämlich noch niemanden gejuckt, also von meiner Seite erstmal kein Mitleid…

    1. Liebe Jasmin,
      ich lehne jede Art von Cyber-Mobbing ab, ob nun gegen Schüler oder gegen Frau Wulff. Ich habe ihr Beispiel nur gewählt, weil kaum jemals so geballt und so hämisch über eine einzelne Person hergezogen ist. Das ich das ablehne heißt nicht, dass man ihren PR-Trick oder ihr Vorgehen in dieser Sache nicht kritisieren darf. Es geht um das Wie, um den Stil, nicht darum, dass Frau Wulff sakrosant wäre.
      LG, Susanne

  4. Ich stimme dir absolut zu, muss aber auch gestehen, dass ich mich schon gefragt habe, was da PR-mäßig in Bezug auf das erscheinende Buch gelaufen ist. Trotzdem gehört es sich einfach nicht, über einen nicht persönlich bekannten Menschen so zu sprechen, wie es zur Zeit teilweise getan wird.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert