Berlin – ein Rummelplatz

Denkmal für die ermordeten Juden Europas - Holocaust-Mahnmal

So ein Berlinbesuch bietet viel Stoff für Geschichten und Gedanken. Nach langer, langer Zeit war ich jetzt mal wieder in der Hauptstadt – und bin erschüttert und ein bisschen schockiert. Berlin ist zum Rummelplatz geworden. Auf den Resten von unendlich viel Leid, von Kaltem Krieg und unzähligen Toten wuchert Touristen-Kitsch. Damit habe ich persönlich Probleme. Andere offenbar nicht. Und damit meine ich nicht nur die Touristen selbst, die diesen Kitsch befördern.

Beispiel Holocaust-Mahnmal

Das Holocaust-Mahnmal: von vorne nach hinten ansteigende Stelen
Das Holocaust-Mahnmal: von vorne nach hinten ansteigende Stelen

2711 Betonquader auf 19000 Quadratmetern Fläche, in der Höhe ansteigend und begehbar. Ein beeindruckendes, ein beängstigendes Denkmal für sechs Millionen von den Nazis ermordete Juden. Ein Denkmal? Nein, ein Irrgarten, der dazu einlädt, hindurch zu laufen wie durch ein Maislabyrinth. Und ein Ort, an dem Menschen eine Pause machen, sich unterhalten, auf den niedrigeren Quadern ausruhen, obwohl es nicht erwünscht ist. Gedenken an Tote? Ich weiß es nicht, ob den Besuchern bewusst ist, wofür dieses Denkmal steht. Ich habe es immer als eine gute Idee empfunden, etwas so Minimalistisches, so Abstraktes wie das Stelenfeld für diesen Ort des Gedenkens an den größten Massen- und Völkermord in der Geschichte zu wählen. Seit meinem Besuch dort bin ich nicht mehr so sicher. Verträgt ein solches Mahnmal so viel Lockerheit?

Übrigens: Der Architekt der Holocaust-Mahnmals, Peter Eisenman, sagt ja, wie er gerade in einem Interview gesagt hat.

Beispiel Checkpoint Charlie

Nichts ist mehr echt: geklonte Vergangenheit am Checkpoint Charlie
Nichts ist echt: geklonte Vergangenheit am Checkpoint Charlie

Ein kleines Freilichtmuseum gleich neben dem berühmtesten innerdeutschen Grenzübergang zeigt, welches Leid, welche Verzweiflung, welche Geschichten von Freiheit und Tod sich an dieser Stelle abgespielt haben. Ein Stück Mauer steht dort, mit einer Lücke in der Mitte, in die sich prima ein Mensch stellen kann: ein beliebtes Fotomotiv. Auf großen Tafeln mit Fotos und Texten wird der Dramen am Checkpoint gedacht. Die echten Schilder, das Wachhäuschen sind längst verschwunden. Nichts ist mehr echt, alles Talmi. Da stehen als Soldaten verkleidete Leute herum, um sich gegen Geld mit Touristen fotografieren zu lassen. Man kann Visa-Stempel kaufen, die nicht mehr offiziell vergeben werden. Und wer weiß, ob in den vor dem Kontrollhäuschen aufgestapelten Sandsäcken wirklich Sand ist. „Oh-Berlin.com“ berichtet, dass böse Zungen den Checkpoint heute das Hollywood Berlins nennen.

Sehr viel eindrucksvoller als der inszenierte Checkpoint ist wenige Meter weiter das Mauermuseum „Haus am Checkpoint Charlie“. Das Bedrückende der deutschen und europäischen Teilung, des Kalten Krieges und seiner Opfer, wird hier überdeutlich. Obwohl das Museum sehr ungeordnet und übervoll wirkt, ist er hier spürbar, der Schrecken der deutschen Teilung.

Vielleicht bin ich ja zu empfindlich oder zu spießig oder zu konservativ oder alles zusammen, aber mir gefällt dieser Rummel an Stellen nicht, an denen Menschen sterben mussten oder an denen ihres Todes gedacht wird. Wie empfindet ihr das?

5 Kommentare

  1. Ich muss dir ja schon recht geben, bewusst ist den wenigsten Besuchern des Denkmals, was sie da betreten, die Frage ist halt nur ob es an anderer Stelle nicht genau das gleiche Problem geben würde. Denn das Problem der unzureichenden Bildung und Achtung ist ein Problem der ganzen Gesellschaft!!! Berlin kann da nur wenig zu!

    1. Da magst Du recht haben. Für mich macht es nur einen Unterschied, ob ich einen Rummel wie diesen mit nachgemachten Exponaten und für Fotos verkleideten Figuren an Bauwerken wie dem Eifelturm oder dem Kolosseum habe oder an Orten, an denen Menschen für die Freiheit gestorben sind, wie an der Berliner Mauer. Außerdem: Wer nicht weiß, was dort passiert ist, kann es vor Ort nachlesen, sowohl am Brandenburger Tor wie auch am Checkpoint Charlie. Selbst für die, die nicht lesen wollen, sagen die großen Fotos und Infotafeln genau, worum es geht. Außerdem: Hat nicht jeder Schüler in der Schule gelernt, was die deutsche Teilung war und was sie bedeutet hat? Etwas anders ist es am Holocaust-Mahnmal, dort wird auf große, deutlich sichtbare Erklärungen verzichtet.

  2. Ich finde es auch nicht gut, wenn Orte mit schlimmer vErgangenheit oder Gedenkstätten so dermaßen inszeniert werden, aber deine Überschrift klingt doch etwas hart. Nur weil ein paar Teile der Geshichte inszenierter sind, als sie sein sollten, ist Berlin noch lange kein Rummelplatz. Beim nächsten Besuch in Berlin solltest du dir die Stadt mal anders zu Gemüte führen, stürz dich doch mal in den Alltagstrubel…Berlin ist nämlich ganz und gar kein Rummelplatz.

  3. Liebe Jasmin,
    na klar sind meine Eindrücke nur eine Momentaufnahme von den von den Besuchern am meisten angesteuerten Stellen. Mir ist schon klar, dass nicht die ganze Stadt ein Rummelplatz ist. Wenn ich das nächste Mal da bin, lasse sich alle bekannten Orte links liegen und sehe mir mal das Alltagsberlin an. Versprochen. Diesmal hatte ich allerdings französischen Besuch im Schlepp und musste natürlich alle wichtigen Stellen ansteuern.
    LG, Susanne

  4. Ich teile deine Meinung. Nur leider hat Martin mit seiner Meinung auch vollkommen recht. Die nazistischen Greueltaten geraten leider immer mehr in Vergessenheit und werden vielleicht in den Schulen auch nicht genügend verdeutlicht.

    Ich weiß, dass wir zu meiner Schulzeit dieses Thema sehr lange und ausführlich behandelt haben und uns Filmmaterial gezeigt wurde, dass ich in diesem Alter (ca. 13 – 14 glaube ich) schockierend fand. Aber ich habe diese Thematik dadurch vielleicht auch mehr verinnerlicht.

    Heute werden die Schüler ja vor allem und jedem geschützt, was sie irgendwie seelisch belasten könnte und oftmals in Watte gepackt. Manche Dinge „sitzen“ aber eben mehr, wenn man mit ihnen entsprechend konfrontiert wird.

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